Ex-FC-Bayern-Star Markus Babbel: "Da wirst du ja verrückt als Trainer an der Seitenlinie"

AZ-Interview mit Markus Babbel: Der jetzt 50 Jahre alte Europameister von 1996 spielte von 1991 bis 2000 beim FC Bayern und von 2004 bis 2007 beim VfB Stuttgart. Bei den Schwaben war er 2007/08 Co-Trainer und 2008/09 Chefcoach.
AZ: Herr Babbel, für den FC Bayern ist die Partie am Samstag bei Abstiegskandidat VfB Stuttgart ein reiner Pflichtsieg - und das vier Tage vor dem wegweisenden, die komplette Saison definierenden Rückspiel in der Champions League gegen Paris St.-Germain.
MARKUS BABBEL: Um wieder Deutscher Meister werden zu wollen, müssen die Bayern gewinnen, ganz klar - sie haben ja anders als in den letzten Jahren keinen Vorsprung. Aber, und das konnte man zuletzt ja mehrfach beobachten: Die meisten Spieler des Kaders sind x-mal hintereinander Deutscher Meister geworden, der Verein zehn Mal. Da ist es für den Trainer schwierig, in der Bundesliga ständig die Spannung hochzuhalten - und die Jungs anzutreiben.
"Dieser Kader hat eine unfassbare Qualität, ist auch in der Breite phänomenal aufgestellt"
Vor dem Hinspiel gegen PSG gab es ein müdes 3:0 gegen Bochum, vor zwei Wochen patzte man beim 2:3 in Mönchengladbach.
Für mich ist das schwer nachvollziehbar. Denn: Dieser Kader hat eine unfassbare Qualität, ist auch in der Breite phänomenal aufgestellt. Doch sie bringen des Öfteren ihre optimale Leistung nicht auf den Platz. Da wirst du ja verrückt als Trainer an der Seitenlinie. Ich kann gut nachempfinden, dass es Julian Nagelsmann wahnsinnig macht, wenn die Spieler ihre Qualität nicht abrufen. Eigentlich müssten die Bayern mit diesem Personal in der Liga alle Gegner aus dem Stadion schießen, sie sind aber oft zu wankelmütig.
Ist so Nagelsmanns Wutausbruch in Mönchengladbach gegenüber den Schiedsrichtern ("Weichgespültes Pack!") zu erklären? Als gezieltes Ablenkungsmanöver, damit sich die mediale Berichterstattung nicht gegen die Mannschaft richtet?
Wenn das so war, ziehe ich alle meine Hüte vor Julian. Dann war das Mourinho-like, wenn er sich damit bewusst vor sein Team gestellt hätte. Er weiß, dass er verbal übers Ziel hinausgeschossen ist. Auch er spürt natürlich den Druck, wenn die Resultate nicht stimmen - und das mit dem besten Kader aller Zeiten.
Moment - der beste Kader aller Zeiten trotz des Triples 2013 unter Jupp Heynckes mit Lahm, Schweinsteiger, Robben, Ribéry & Co.? Trotz der sechs Titel unter Hansi Flick 2020 mit Lewandowski, Alaba, Thiago & Co.?
Für mich ja, ob der oder der Spieler stärker ist - Geschmackssache. 2020 hatten sie mit Coutinho und Perisic zwei absolute Raketen als Einwechselspieler. Diese Saison ist der Kader noch besser aufgestellt. Gegen Union Berlin haben sie sensationell gespielt, hätten auch 6:0 oder 7:0 gewinnen können. Auf der Bank saßen Cancelo, Mané, Gnabry und Sané. Dazu war Upamecano gesperrt. Neuer und Hernández fehlen verletzt. Das ist schon brutal viel Qualität.
"PSG mit Mbappé ist in der Lage, das Ding zu drehen"
Also darf es mit dem 1:0 im Rücken im Rückspiel am Mittwoch gegen PSG nicht mehr eng werden?
Zunächst: Wie defensiv PSG als Heimmannschaft gegen die Bayern aufgetreten ist, war erschütternd und unterirdisch. Bayern hat das Spiel bis zur Einwechslung von Kylian Mbappé dominiert. Heißt: Das Rückspiel wird gefährlich, denn PSG mit Mbappé ist in der Lage, das Ding zu drehen. Ich bin mir aber relativ sicher, dass sich die Bayern durchsetzen und weiterkommen.
Trotz instabiler Leistungen und vielen Auf und Abs könnten die Bayern immer noch das Triple gewinnen in dieser Saison. Wie viele Titel sind noch drin?
Alle - ohne Wenn und Aber. Noch mal: Der Kader ist außergewöhnlich gut bestückt. Ich sehe auch nicht Real Madrid stärker, nicht Manchester City oder andere. Natürlich kann man in den K.o.-Duellen der Champions League, wenn es um die Tagesform geht, immer mal unglücklich ausscheiden. Aber wenn die Bayern die Titel nicht holen, sind sie selbst schuld.
"Wenn ich als Verein den ganz großen Titel-Wurf landen will, dann ist Müller unverzichtbar"
Im Hinspiel hatte Nagelsmann Thomas Müller zunächst auf der Bank gelassen, gegen Union war der Routinier mit zwei Vorlagen wieder tonangebend. Kann man auf diesen Müller verzichten?
Wenn ich als Trainer eine Mannschaft haben will, die für mich durchs Feuer geht, dann brauchst du einen Typen wie Müller, der immer vorangeht, unbedingt. Seine Art und Weise, die Mannschaft zu führen, ist sensationell. Seine Spielweise ist unberechenbar, das macht ihn so gefährlich. Ich glaube, im Grunde weiß er meist selbst nicht, was er als nächstes macht (lacht). Wenn ich als Verein den ganz großen Titel-Wurf landen will, dann ist Müller unverzichtbar.
Letzte Frage zum VfB: Können die Schwaben mit Bruno Labbadia, der in der Saison 1991/92 bei Bayern ihr Mitspieler war, die Klasse halten?
Bruno ist absolut der Richtige. Er hat schon einiges bewegt, die Stuttgarter laufen jetzt mehr. Aber für mich haben die Spieler ein Charakterproblem, sind zu schnell zufrieden. Alles viel zu liebe Schwiegersöhne. Beim 3:0 gegen Köln waren sie griffig und giftig, haben dagegengehalten. Alle haben gedacht, das ist die Wende. Eine Woche später beim 1:2 auf Schalke dachte ich mir: Hey, was ist mit denen los? Ich bin ja großer VfB-Fan, daher ärgert und enttäuscht mich das. Ich denke, es wird eng bis zum Schluss im Abstiegskampf, drücke ihnen aber natürlich die Daumen.