Endstation anne Castroper? Tuchel gegen Bochum unter Druck

Zwischen Zuspruch und Lieferdruck reist Trainer Thomas Tuchel mit dem FC Bayern zum VfL Bochum. Seit Guardiola verwandelt sich der rote Trainerstuhl bei Formkrisen blitzschnell in einen Schleudersitz.
von  Patrick Strasser
Glück auf, Glück auf, der Bayer kommt: Tuchel und sein FCB müssen im Revier zur Form zurückfinden.
Glück auf, Glück auf, der Bayer kommt: Tuchel und sein FCB müssen im Revier zur Form zurückfinden. © imago

München - Als Trainer Thomas Tuchel und die Profis des FC Bayern am Freitagvormittag bei bestem Frühlingswetter zum Trainingsgelände an der Säbener Straße vorfuhren, blickten sie auf Plakate zweier Fans, die Eiseskälte vermittelten. Schwarz auf Gelb stand dort unter anderem: "Mit Tuchel geht nicht" sowie "Tuchel raus - Flick zurück".

Hainer über Trainerteam: "Arbeiten akribisch"

Andererseits gibt es auch Zuspruch für den angeschlagenen Chefcoach und die taumelnde Mannschaft, die nach zwei Pleiten hintereinander - erstmals unter Tuchel - am Sonntag beim VfL Bochum (17.30 Uhr, DAZN und im AZ-Liveticker) die Wende zum Guten schaffen will. Während Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen bei seiner nächtlichen Bankettrede nach dem 0:1 in der Champions League bei Lazio Rom den Trainer nicht erwähnte, kommt vom Präsidenten Rückendeckung. Ihm sei klar, dass im Moment "Leichtigkeit und Selbstverständnis" fehlen, so Herbert Hainer im Merkur. Er wünsche sich eine "Initialzündung, um auf dem Platz den vielzitierten Bock umzustoßen". Das Prinzip Hoffnung.

Mit Blick auf Tuchel und dessen Trainerteam betonte Hainer, dass diese "akribisch und engagiert arbeiten". Ein Schelm, wer an ein böses Omen denkt. Schließlich war es Hainer, der den damaligen Trainer Julian Nagelsmann in einem "kicker-"Interview im März 2023 als "Langzeitprojekt" bezeichnet hatte. Vier Tage später war der Trainer entlassen, nach einem 1:2 in Leverkusen (das Interview wurde zuvor geführt). Über den unglücklichen Ablauf sagte Hainer wenige Tage später, "dass Fußball ein Ergebnissport ist. Am Ende des Tages waren wir alle drei der Meinung: Wir müssen reagieren." Er, Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic.

FC Bayern: Tuchel steht in Bochum unterm Brennglas

Letztere sind nach dem Bosse-Beben Ende Mai nicht mehr im Amt. Dreesen und Sportdirektor Christoph Freund ("Thomas kämpft natürlich auch mit der Situation, weil er die Mannschaft anders sehen will auf dem Platz") wollen keinen Schnellschuss, sind sich aber der prekären Lage bewusst. Tuchel, aufgrund seiner Erfolge und seines Know-Hows ein Trainer von Weltformat, der neben seinen drei Bundesliga-Stationen (zuvor Mainz und Dortmund) auch in der französischen Ligue 1 und der Premier League gecoacht hat, hätte sich das sicher nicht träumen lassen: im altehrwürdigen, zugleich charmanten wie rauen "Vonovia Ruhrstadion" unterm Brennglas zu stehen. Darf sich der 50-Jährige noch eine weitere Niederlage erlauben oder ist "anne Castroper", wie man vor Ort sagt, Endstation? Springen ihm seine Spieler beim zweiten Versuch einer Wiedergutmachung der 0:3-Demütigung von Leverkusen diesmal zur Seite?

Auf der Plattform "X" (früher Twitter) kursiert seit Tagen ein Video, das einen verzweifelten Trainer zeigt. Während der zweiten Halbzeit in Rom steht Tuchel an der Seitenlinie, wild fuchtelnd und mit den Armen rudernd will er seine Spieler animieren, den lethargischen Spielaufbau zu beschleunigen. Er treibt sie nach vorne, die Spieler jedoch schieben den Ball erst quer, brechen den Spielzug dann ab und passen den Ball sicherheitshalber zurück zur Ausgangsposition. Tuchel verharrt konsterniert.

Beziehung zwischen Fans und Tuchel kalt

Und die Fans? Bislang konnte Tuchel so gar keine Beziehung zu den Bayern-Anhängern aufbauen. Kaum einmal ein Winken seinerseits im Stadion, keine Sprechchöre - aber auch keine Pfiffe. Im Grunde stehen die meisten Fans der Roten ihrem aktuellen Trainer indifferent gegenüber. Kein Vergleich zu Jupp Heynckes oder Ottmar Hitzfeld, den allseits geschätzten lieben Onkel der Bayern-Trainergilde.

Es heißt, dass die Bosse, im Hintergrund vor allem Vereinspatron und Ehrenpräsident Uli Hoeneß, die nächste Entlassung unbedingt vermeiden und die Saison mit Tuchel beenden wollen - doch in Bochum gilt für den angeschlagenen Coach und seine Mannschaft: Verlieren verboten! Die Dynamik, die entstehen könnte, wenn man beim Abstiegskandidaten (Tabellenplatz 14) verliert, wäre wohl nicht aufzuhalten. Nach der Ära Pep Guardiola (2013-16), zu dem die Fangemeinde ehrfürchtig aufschaute, auch wenn ihnen der verbissene Katalane ähnlich wie Tuchel irgendwie suspekt vorkam, hätte Bayern im Fall der Fälle bereits den sechsten Trainer verschlissen.

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