"Du brauchst nicht auf den Trainer gehen": Wer in der Wut-Rede von Thomas Müller gemeint war

Nach dem demütigenden Auftritt seines FC Bayern beim verbockten Meistergipfel in Leverkusen platzt Thomas Müller am TV-Mikrofon der Kragen. Eine AZ-Analyse seiner jetzt schon legendären Wutrede.
von  Patrick Strasser
Genug ist genug: Für eine Mentalitätsmaschine wie Thomas Müller sind viele Dinge beim FC Bayern aktuell nicht zu ertragen.
Genug ist genug: Für eine Mentalitätsmaschine wie Thomas Müller sind viele Dinge beim FC Bayern aktuell nicht zu ertragen. © imago

Leverkusen/München - Drei Jahre ist es gerade erst her, als sich der FC Bayern den nächsten Titel einer märchenhaften Saison sicherte. Nach dem Erfolg bei der Fifa-Klub-WM in Katar stand man ganz oben. Bester Verein der Welt, Hansi Flick im Glück. Drei Monate später wurde Bayern erneut Meister. Flick verabschiedete sich als Sieben-Titel-Trainer der Jahre 2020/21 auf den Posten des Nationaltrainers, Julian Nagelsmann übernahm die Bayern im Sommer 2021. Der Rest ist Geschichte, eine Trainer-Kettenreaktion folgte bis hin zu Thomas Tuchel.

Thomas Müller hat alle(s) erlebt, ist seit 2008 im Verein, wurde zwölf Mal Meister, bekam erst letzten Samstag ein gerahmtes Trikot für 500 Pflichtspiel-Siege überreicht. Mehr Meriten, Titel und Spiele hat keiner für den Rekordmeister gemacht – andererseits hat auch keiner (der Fluch der Langlebigkeit) mehr Pleiten erlebt. Nach seiner Einwechslung im 691. Pflichtspiel für die Roten, der 15. Einwechslung bei insgesamt 25 Saisonspielen, platzte es im Sky-Interview aus ihm heraus. Der Routinier war "angefressen" und polterte los.

Die AZ analysiert, auf wen die Wutrede des vereinseigenen Wake-up-Calls abzielt und erklärt die Hintergründe:

Thomas Müller über die Diskrepanz zwischen Spiel und Training beim FC Bayern:

An der Säbener Straße zeige man, so Müller, "deutlich bessere Ansätze, weil wir da mutig sind, weil wir frei Fußball spielen. Und da fehlen mir – jetzt können wir Oliver Kahn zitieren – teilweise die Eier und diese Freiheit." Das alte Lied, das alte Leid, das auch Thomas Tuchel stets beklagt. Der Trainer ist es leid, das zu wiederholen, sagte in Leverkusen: "Ohne Druck machen wir es sehr, sehr gut. Aber unter Druck, am Spieltag, können wir es nicht lösen." Eine Blockade? Oder warum mag der Transfer der Lerninhalte und Übungseinheiten nicht gelingen? Dies hinzubekommen, ist auch stets Aufgabe des Trainerteams.

Thema Lernstoff:

"Wir haben eine Verkopftheit in unserem Spiel. Leverkusen, die zocken einfach, die spielen Fußball, die suchen Lösungen, da bietet sich einer an", meinte Müller und wollte damit aber nicht auf die Aufgabenfülle abzielen, die Tuchel & Co. den Spielern mitgeben, sagte deutlich zum Sky-Reporter: "Wir waren genug Spieler auf dem Platz von internationalem Format, da brauchst du nicht auf den Trainer gehen. Wenn's im Training da ist und der Trainer diese Lücken anspricht, müssen wir auch mal die Spieler anpacken – und wir waren nicht da." Tuchel jedoch war es, der am Freitag gefordert hatte: "Wir dürfen nicht in unserem Wissen gefangen bleiben, müssen ins Tun kommen." Ergo: Weniger wäre mehr – für alle Beteiligten.

Thema mangelnde Widerstandsfähigkeit:

"Man darf den Druck spüren, aber das muss einem Energie geben. Ich verstehe auch nicht, dass wenn es mal zäh und vielleicht ein Abwarte-Spiel ist." Müller regt sich darüber auf, dass die Bayern-Profis, wenn es mal nicht läuft wie beim 1:5 in Frankfurt im Dezember, nicht aus ihrem negativen Trott herauskommen und sich nicht entschieden genug gegen die drohende Niederlage stemmen – trotz aller Widrigkeiten. Stichwort Eier.

Thema Ballgeschiebe:

"Dann spielen wir von A nach B, von B nach C und keiner hat die Freiheit, dass er einfach zu zocken beginnt." Klingt nach Tiki-Taka, ist es aber nicht. Eher Tuchel-Taka zum Wohle der Konterabsicherung. Natürlich fehlen Dribbler wie Kingsley Coman und Serge Gnabry (beide nach Verletzungen in der Reha), die sich auch mal im Eins-gegen-Eins durchsetzen können. Müller vermisst die Risikobereitschaft, das Überraschende.

Wer Müllers Ausführungen lauscht, stellt fest, dass der 34-Jährige einen hervorragenden (Spieler-)Trainer abgeben würde. Zukunftsmusik. Als kickender Seismograph der Mannschaft hat er noch einen Vertrag bis Sommer 2025.

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