Diego Maradona: Der Mythos von Neapel

Vor 20 Jahren verließ Diego Armando Maradona, Neapels Fußball-Ikone, fluchtartig die Stadt. Immer noch wird er in Süditalien abgöttisch verehrt.
Filippo Cataldo |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Neapels Legende: Diego Maradona.
Augenklick Neapels Legende: Diego Maradona.

Vor 20 Jahren verließ Diego Armando Maradona, Neapels Fußball-Ikone, fluchtartig die Stadt. Immer noch wird er in Süditalien abgöttisch verehrt. Doch er wird wohl nie wieder zurückkehren.

Neapel - Der Preis fürs Seelenheil ist ein Espresso. Der Opferstock befindet sich gleich am Eingang links, 90 Cent verlangen sie in der Bar Nilo für den Muntermacher. Ein Schwatz und der Blick auf die Reliquien des Wahrhaftigen – eine Locke und eine Träne des Wahrhaftigen – sind inklusive.

Angeblich hat Antonio Alcidi Diego Maradona die Haare einst nach einem Pokalsieg des SSC Neapel selbst ausgerissen. Die Träne muss er ihm dann an jenem traurigen Tag im Februar 1991, als Maradona die Stadt am Vesuv fluchtartig verließ, wohl irgendwie vom Boden des Flughafens gewischt haben. Man kann ihn nicht dazu befragen, Alcidi ist an diesem Morgen nicht in der Bar. Er müsse sich aufs Spiel vorbereiten, sagen seine Mitarbeiter. Aufs Spiel gegen Bayern. Doch der Heiligenschrein Maradonas hängt natürlich seit den frühen Morgenstunden an der Außenwand der Bar.

Wir sind mitten in Spaccanapoli, jenem kerzengeraden, engen, lauten und chaotischen Straßenzug, der Neapels Altstadt einmal komplett durchtrennt. Für die Maradona-Pilger ist Spaccanapoli eine Art Königsweg und der Heiligenschrein an der Bar Nilo ihr Santiago de Compostela. Entlang der Straße verkaufen unzählige Händler Krippenfiguren, die Maradona-Figuren gehen auch heute noch gut. Maradona soll gerne hier gewesen sein damals. Hier, unter den ärmsten und vermaledeiten Seelen der Stadt soll er sich am wohlsten gefühlt haben. Angeblich blieb er einmal mit seinem Ferrari in einer der noch engeren Seitengassen stecken. Als er dann nach oben blickte, soll er eine alte Frau auf einem verwitterten Balkon erblickt und sie nach ihrem Namen gefragt haben. Am nächsten Tag seien dann die Maurer gekommen und hätten die Fassade des Hauses samt Balkon renoviert haben. Stoff, aus dem Legenden geboren werden.

Sieben Jahre nur hat Maradona, jener Botschafter des unmöglich schönen Fußballs, in Neapel gewirkt. Zwei Meisterschaften, einen Pokalsieg und den Uefa Cup schenkte er der Stadt und dazu die Genugtuung, es denen aus dem Norden gezeigt zu haben. Neapel war Maradona damals und Maradona war Neapel, mit allem, was dazugehört. Noch heute ist an einer Friedhofsmauer der Spruch „Ihr wisst ja nicht, was ihr verpasst habt“ zu lesen. Als Gruß an die Toten. Als er 1991 zurück nach Buenos Aires abhaute, war ihm die Polizei wegen Steuer- und Drogenvergehen auf den Fersen. Auch seine Kontakte zur Camorra sollten hinterfragt werden. Vor sechs Jahren war er zuletzt für ein paar Stunden in Neapel. Womöglich wird es sein letzter Besuch gewesen sein. Seine Steuerschulden belaufen sich mittlerweile auf 35 Millionen Euro, die Zinsen steigen jeden Tag um 3000 Euro. Sollte er je wieder italienischen Boden betreten, würde er augenblicklich ins Gefängnis wandern. Für die Neapoletaner kein Grund, ihren Diego zu vergessen. Sein Geist weht noch immer durch die Stadt. Auch wenn sie endlich neue Helden haben. Bei den Krippenhändlern gehen die Figuren der „Drei Tenöre“, wie die Napoli-Lieblinge Marek Hamsik, Ezequiel Lavezzi und Edison Cavani genannt werden, besser als jene des – neben des Heiligen Januarius – zweiten Schutzheiligen der Stadt.

Diego Armando Maradona selbst kümmert sich jetzt übrigens um die Opfer der Camorra. Der Junior, wohlgemerkt. In Castelvolturno, wo der SSC Neapel sein neues Trainingszentrum hat und die Camorra-Bosse ihre nun meist leer stehenden Protz-Villen errichtet haben, betreibt der 25 Jahre alte uneheliche Sohn aus einer kurzen Beziehung des Fußballers mit einer Neapoletanerin einen Fußballklub. Er kümmerst sich da vor allem um sozial benachteiligte Kinder aus den – zumeist mit Camorra-Geldern – illegal errichteten Hochhaussiedlungen der Stadt.
 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.