Die Unverzichtbaren
MÜNCHEN - Wann braucht man einen Führungsspieler wirklich? Wenn die Mannschaft in Rückstand ist. Dann muss derjenige den Oliver Kahn in sich herausholen, dem Gegner das Stefan-Effenberg-Gesicht zeigen. Antreiben. Anführen. Gut, die Bayern haben auch mit Bastian Schweinsteiger zum Saisonstart gegen Gladbach (0:1) und in Hannover (1:2) verloren, aber seit er aufgrund seiner Verletzung absent ist, fehlt mehr als ein Spieler: das Aufbäumen. Flache Hierarchien sind schön und gut. Adrenalinsiege schöner.
Die Bayern schwächeln momentan, die Leistung fischelt unangenehm. Und der Fisch stinkt immer vom Kopf. Da fehlt die rechte Alternative. Kopflos verloren die Bayern gegen Dortmund 0:1, in Mainz 2:3 – dazu Selbstvertrauen und Tabellenführung. Jeder ist zu ersetzen, sagen Trainer immer, um die anderen Spieler nicht zu entmutigen. Der eine jedoch mehr als der andere. Schweinsteiger ist durch seinen Schlüsselbeinbruch aufgestiegen: ab in die Kategorie unverzichtbar, unersetzlich. „Wenn er spielt, dann kommt oft auch Kritik, weil es heißt, er spielt zu oft quer, immer nur zur Seite. Und wenn er nicht dabei ist, dann sieht man erst, wie wichtig er für den FC Bayern ist“, betonte Ehrenpräsident Franz Beckenbauer, selbst erfahren genug mit dem Status eines Unverzichtbaren.
Seine Wertung: „Gegen Mainz hat man deutlich gesehen, dass er fehlt.“ Schweinsteiger ist ganz oben in der Pyramide der Unverzichtbaren des aktuellen Kaders. Sein Ausfall bedeutet fast zwangsläufig Punktverluste. Sein Ex-Trainer Ottmar Hitzfeld bezeichnet dessen Fehlen als „gravierenden Ausfall“. Denn: „Bastian hat sich unheimlich gut entwickelt – auf und neben dem Platz. Von der Führung her sehe ich weniger ein Problem. Es geht um die Präsenz auf dem Platz.“ Da ist die Kapitänsbinde, die Phillip Lahm trägt, nur ein äußeres Zeichen. Als Linksverteidiger steht er nicht im Zentrum des Spiels, sein Einfluss ist in der Kabine und abseits der 90 Minuten größer.
Hitzfeld: „Ein Lahm kann nicht den Schweinsteiger auf dem Platz ersetzen.“ Eben. Den „emotionalen Leader“ wie Bundestrainer Joachim Löw den Doppel-Co-Kapitän bei Bayern und in der Nationalelf nennt. Ohne Schweinsteiger fehlt dem Spiel der Heynckes-Elf der Antrieb, es wirkt rastlos und unorientiert. „Er ist die spielbestimmende Person im Mittelfeld, besitzt strategische Fähigkeiten. Er weiß, wann er das Spiel beruhigen muss, schneller machen oder es verlagern muss“, erklärt Bayern-Coach Jupp Heynckes. Solch ein Trainer auf dem Platz darf nicht fehlen – andere dagegen kann man leichter ersetzen (mit Abstufungen, siehe Text rechts).
„Es gibt Schlüsselspieler, wenn die ausfallen, hat man als Trainer ein Problem“, sagte Hitzfeld. Schweinsteiger habe sich enorm entwickelt und sei eine große Persönlichkeit. „Er ist das Gehirn der Mannschaft. Es ist das Gleiche, als wenn Xavi bei Barcelona ausfallen würde. Er kann den Rhythmus drosseln, er kann den Rhythmus erhöhen, er hat einen Torinstinkt, er hat hohe Spielintelligenz.“ Die Erwartungen an sein Comeback waren nie größer. Derzeit absolviert der 27-Jährige ein spezielles Aufbau-Programm an der Säbener Straße. Zeitdruck bekommt er nicht – nur durch weitere Pleiten seiner Kollegen. Nicht ausgeschlossen: ein Einsatz vor Ende der Hinrunde Mitte Dezember. Auch ein Schlüsselbeinbruch ist reine Kopfsache.
Kroos hat sich in der AZ-Rangliste vor den Nierderländer gespielt. Und Neuer und Gomez haben Käpt’n Lahm überholt.
MÜNCHEN - Der Unverzichtbarste aller Unverzichtbaren in der Historie des FC Bayern, der Kaiser über allen Königen, stellt sein Licht gerne unter den Scheffel. Unter den Müller Gerd. „Wir wären alle nie das geworden was wir sind, hätten nie diese Erfolge errungen, wenn der Gerd vorne nicht die Tore gemacht hätte“, betont Franz Beckenbauer immer wieder. Was nutzt die schönste Kunst ohne zählbaren Ertrag? Was auch auf die Neuzeit und Mario Gomez zutrifft. 51 Tore in 74 Bundesligaspielen hat der Mittelstürmer erzielt, eine sensationelle Quote. Hypothetisch auszurechnen, wie die Bayern ohne Gomez dastünden, mit wie viel Punkten weniger. Sagen wir: eine ganz schöne Menge.
Neulich wurde der erfolgreichste Bayern-Trainer der Geschichte, der 16-Titel-Ottmar-Hitzfeld, um eine Entscheidung gebeten: Wen würde er wählen, könnte er sich einen Spieler für die Schweizer Nationalelf aussuchen? Die Antwort: Mario Gomez. Die Begründung: „Es ist unglaublich, wie der trifft. Der hat ein eingebautes Radarsystem für die Tore. Wäre er verletzt, würde ich Probleme in der Champions League sehen.“ Denn: Ivica Olic, der Stellvertreter, hat seine Form nach diversen Verletzungen nicht wieder gefunden. Und Nils Petersen ist Ersatz-Ersatz-Mittelstürmer. Ein Mann für die Zukunft, nicht für die Gegenwart. Auf einer Stufe im Ranking mit Gomez steht Torhüter Manuel Neuer, Prädikat Weltklasse. Ein Stockwerk tiefer: Philipp Lahm, der Kapitän sowie Toni Kroos und Franck Ribéry.
Bei Lahm merkt man – noch mehr als bei Schweinsteiger – auch erst, wie wertvoll er ist, wenn er fehlt. Kroos, früher ein Rotations- und Rochadeopfer, hat sich fest gespielt als Zehner und Ribéry hat die linke Seite wieder mit Esprit und Torgefahr bereichert. Thomas Müller ist rechts stärker wie Arjen Robben – so hat der Franzose ein Alleinstellungsmerkmal. Robben leidet unter seiner Verletzungsanfälligkeit, die Kollegen haben weitestgehend ohne ihn den Gruppensieg in der Mördergruppe der Champions League erreicht. Müller muss meist Lücken stopfen, dort spielen, wo einer fehlt. Was jedoch seine Stärke ist. In der Abwehr ist Holger Badstuber als einziger Linksfuß prädestiniert.
Ist er nicht gesperrt, spielt er immer. Neuzugang Rafinha, solide ja, aber noch nicht die erhoffte Verstärkung wird von Heynckes im Ernstfall eher rausgenommen als der vielseitige Jérôme Boateng. Der hemdsärmelige Daniel van Buyten hat Stürmerqualitäten, wegen seiner gelegentlichen Abwehrschnitzer gehört er meist nicht zu Heynckes-Topelf. In der Hierarchie wie in Punkto Leistungsvermögen stehen die Abräumer im defensiven Mittelfeld auf einer Stufe: Ein Österreicher (Alaba), ein Brasilianer (Luiz Gustavo) und ein Ukrainer (Anatoliy Tymoshchuk).
Nur als Assistenten von Schweinsteiger zu gebrauchen, ist Eigenverantwortung gefragt wie derzeit wird’s eher schwierig. Die Basis des Kaders bilden die Spieler, die gemäß ihrer Klasse und Einsatzchancen Ergänzungsspieler genannt werden. Contento, Pranjic, Usami, Butt oder Petersen. Es ist kein Zufall, dass sie alle im Zweitrundenspiel des DFB-Pokals gegen den FC Ingolstadt (6:0) zum Einsatz kamen. Gegen den Letzten der Zweiten Liga.
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