Die Selbstanklage des FC Bayern: Kimmichs Worte lassen aufhorchen
München - An dem Tag, an dem in Abu Dhabi der neue Klub-Weltmeister gekürt wurde und dabei Champions-League-Sieger FC Chelsea den Südamerika-Champion Palmeiras São Paulo mit 2:1 bezwang - an diesem Tag verlor der FC Bayern "anne Castroper", wie sie in Bochum zur Adresse ihrer Spielstätte Ruhrstadion sagen.
Gegen den Aufsteiger setzte es ein 2:4, Halbzeitstand 1:4. Das Hinspiel hatten die Münchner noch mit 7:0 (!) gewonnen. Wie passend, dass die Bayern beim Aufsteiger letztmals das Klubweltmeister-Wappen auf ihren Trikots trugen. Breite Brust?
FC Bayern: Bereits die vierte Saisonniederlage
Der VfL machte die Bayern ganz klein. Sie selbst zeigten sich nach ihrer bereits vierten Saisonpleite kleinlaut. Vor allem Trainer Julian Nagelsmann, der sich nach den guten bis sehr guten Auftritten zuletzt (3:2 gegen Leipzig, 4:1 bei Hertha und 4:0 in Köln) ohne Not für eine Rückkehr zur Spielweise mit einer Viererkette entschieden hatte und noch vor Anpfiff tönte: "Wir haben die Möglichkeiten, zurückzuswitchen in eine andere Grundordnung."
Als dies dann tatsächlich geschah, war das Kind schon in den Brunnen gefallen - und zwei der vier VfL-Treffer der ersten Hälfte im Winkel eingeschlagen. Ein Tor des Monats nach dem anderen, für die Bayern mit jahrzehntelangem Seltenheitswert.

Zuletzt 1975 vier Gegentore für Bayern vor der Halbzeit
Vier Dinger vor der Pause hatten sie zuletzt 1975 in Frankfurt (0:5 zur Halbzeit, am Ende 0:6) kassiert. "Die Idee von mir war nicht gut, der Plan ging nicht auf", sagte Nagelsmann und meinte die Viererkette mit dem überforderten Innenverteidiger-Duo Dayot Upamecano und Niklas Süle, dessen Wechsel zum BVB Anfang der Woche bekannt geworden war.
Nagelsmanns Selbstanklage: "Ich hätte schneller reagieren müssen. Das habe ich zu spät gemacht." In der Halbzeit wechselte er den völlig indisponierten Upamecano aus, brachte Corentin Tolisso zur Verstärkung des Mittelfelds, stellte auf die zuletzt bewährte Dreierkette zurück.
Ulreich war im Bayern-Tor machtlos
Und das alles im ersten Spiel nach der Knie-OP von Kapitän und Torhüter Manuel Neuer. Bezeichnend: Bei den vier Toren war Stellvertreter Sven Ulreich machtlos. Mittelfeld-Chef Joshua Kimmich war sichtlich angefressen, sprach von der "schlechtesten Saisonleistung. Wir haben sämtliche Tugenden vermissen lassen. Wir müssen uns fragen, ob das die Mentalität des FC Bayern ist."
In der Atmosphäre des kultigen Ruhrstadions (beide Fanlager sind seit 1973 befreundet), gewärmt von wohliger Februar-Nachmittagssonne ließ es der Abo-Meister locker angehen. Im Gefühl: Was kann schon passieren? Schließlich hatte es die letzte Pleite der Bayern bei einem Aufsteiger am 27. August 2010 gegeben. Vor elfeinhalb Jahren mit 0:2 beim 1. FC Kaiserslautern. Seitdem holte man 23 Siege und ein Unentschieden aus 24 Duellen bei Liga-Neulingen.
Angefressener Kimmich spricht Klartext
"Jeder einzelne muss sich fragen, ob das alles ist, was wir jede Woche auf den Platz bringen", meckerte Kimmich und betonte: "Uns passiert das nicht zum ersten Mal. Da müssen wir aufpassen. Das kenne ich von uns aus der Vergangenheit nicht, dass wir mehrfach vier, fünf Tore kassieren."
Er meinte das krachende Pokal-Aus im Oktober als es bei der Borussia ein 0:5 setzte. Für Kimmich der einzige Lichtblick: "Zum Glück war es in der Bundesliga." Bei sechs Punkten Vorsprung auf Borussia Dortmund, die am Sonntag bei Union Berlin 3:0 gewannen.
Vier Tage vor dem wichtigen Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League bei RB Salzburg sprach Nagelsmann völlig bedient von "Grütze" - und einem "beschissenen Spiel, das sollte uns nicht passieren. Es war einfach ein Gesamtpaket in der ersten Halbzeit, was nicht geht."
Nagelsmann: "Bochum war giftig"
Der Erklärungsversuch des Bayern-Trainers: "Wir hatten am Freitag sehr schlecht trainiert und eine ähnliche Spannung in der ersten Halbzeit. Bochum war giftig, wir in allen Phasen das Gegenteil."
Jubel, Trubel, Heiterkeit hingegen bei den Gastgebern. "Wie wir die erste Halbzeit gespielt haben, war für mich wie von einem anderen Stern", meinte der 4:1-Torschütze Gerrit Holtmann, während Cristian Gamboa, ein weiterer Sensationstorschütze, beschwingt vorrechnete: "Drei Punkte, drei Bier." Solche Momente muss man feiern.