„Die Mutter aller Niederlagen“
AZ: Herr Kavka, jetzt müssen Sie uns erstmal was erklären: Sie stehen politisch eher links, beschäftigen sich mit alternativer Musik, leben in Berlin. Wie passt da der Mainstream-Gigant FC Bayern?
MARKUS KAVKA: Dieses Kriterium kann man im Fußball ja nicht anwenden. Es wäre das Falscheste der Welt, wenn ich vor zehn, 15 Jahre gesagt hätte: „Dann werd’ ich halt St.-Pauli-Fan.“
Oder von Union Berlin...
Das sind Vereine, für die ich eine gewisse Sympathie hege, die dann aufhört, wenn sie gegen Bayern spielen. Aber ich bin in der Nähe von Ingolstadt aufgewachsen, bin mit fünf Jahren erstmals mit dem Papa ins Stadion. Dann ist man Fan.
Was in der Hauptstadt nicht ganz einfach sein dürfte.
Als Bayern-Fan bin ich überall Anfeindungen ausgesetzt, aber das geht mir so am Arsch vorbei... Klischees wie „Ihr kauft alle Spieler weg“ oder „Als Bayern-Fan leidet man ja nicht richtig“ perlen alle total an mir ab. Auch ich leide, wenn auch auf deutlich höherem Niveau als ein Kölner. Für mich ist eine Saison ganz schlimm, in der wir Dritter oder schlechter werden.
Können Sie sich denn mit allem identifizieren, was den FC Bayern ausmacht: Also den Lederhosen und der bayerischen Folklore?
Das lasse ich lieber weg. Wenn ein Verein Bayern München heißt, gehört allein des Namens wegen Folklore dazu. Das ist eine schöne Tradition, wenn bei der Meisterfeier die Lederhosen rausgeholt werden und Weißbier getrunken wird. Aber das ist nicht mein Ding. Ich trinke weder gerne Weißbier noch hatte ich je eine Lederhose. Ich finde es lustig, wenn David Alaba oder Franck Ribéry Lederhosen tragen. Ein herrlicher Anblick.
Wie schauen Sie in Berlin die Bayern-Spiele?
Alleine daheim. Ich bin viel zu aufgeregt, um jemanden um mich herum zu haben. Je wichtiger die Spiele, desto mehr schotte ich mich ab. Gegen Madrid waren zwei Spezln von mir da, beide aus Bayern. Wir wissen, dass während des Spiels nicht geredet wird.
Was sind Ihre ersten Bayern-Erinnerungen?
Mein erster Besuch im Olympiastadion, das war 1974 gegen Köln. Ich war wochenlang vorher aufgeregt und habe einen Schreibblock mitgenommen, um mir Autogramme der Spieler holen. Als Bub wusste ich ja nicht, dass im Stadion zwischen Unterrang und Spieler locker 50 Meter liegen. Dann dachte ich mir: Wenn ich nur laut genug schreie... Ich habe noch versucht, einem Balljungen den Block zuzuwerfen. Aber das hat natürlich alles nicht funktioniert. Mein Papa hat mir dann ein Trikot gekauft. Teilweise bin ich in voller Montur in die Schule gegangen. Mit Schal, Halstuch, Trikot. Das war den Lehrern gelegentlich schon ein bisschen zu viel.
Auf dem Fußballplatz waren sie auch oft – und sollen nicht so schlecht gewesen sein.
Ja, aber ich musste feststellen, dass mein Bewegungsapparat nicht so mitgemacht hat. Ich habe mir früh etliche Verletzungen zugezogen. Irgendwann stand ich vor dem Abitur und musste überlegen: Riskierst du es und versuchst, in die Profilaufbahn zu gehen? Aber mein Vater hat gesagt: „Lern lieber was Gscheits.“ Dann habe ich Abitur gemacht und studiert. Auch okay.
Was war Ihr Tiefpunkt mit dem FC Bayern?
Manchester 1999, ich habe es live in Barcelona erlebt. Wir saßen im Manchester-Block. Als das 2:1 gefallen ist, sind die ganzen Menschen über uns drüber gesprungen. Nach dem Abpfiff durften wir erst nach den Bayern-Fans aus dem Stadion, zusammen mit den Manchester-Fans. Wir waren am Boden, jeder hat zwischendurch geheult und keiner war fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Das hat dazugeführt, dass wir uns total verlaufen haben, unser Hotel nicht mehr gefunden haben und bis um sieben Uhr morgens ziellos durch Barcelona geirrt sind, bis irgendwann einer auf die Idee kam, nach dem Weg zu fragen. Das war die Mutter aller Niederlagen. Das hat mich nachhaltig traumatisiert, ich habe dieses Spiel bis heute nicht verarbeitet. Selbst wenn Bayern überlegen gewinnt, bin ich bis kurz vor Ende der Partie ein Nervenbündel. Wenn es zwei Minuten vor Schluss 4:0 steht, mache ich mich langsam locker.
Gibt es denn irgendwas am FC Bayern, das Sie stört?
Ich sehe das sehr durch die rote Brille. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, finde ich die CSU-Nähe des FC Bayern manchmal fragwürdig. Was weitaus schwerer wiegt, ist, dass es durch die Führungskompetenz von Hoeneß, Rummenigge sehr schwer für Trainer ist, einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Jemand wie Klopp hätte in München wohl nicht die Zeit bekommen, die die Dortmunder ihm gegeben haben. Die Leute in der Führungsetage müssten sich mal entspannen und sagen: „Okay, wir nehmen ein, zwei Jahre ohne Titel in Kauf, aber es wird sich auszahlen.“
Wer im Verein beeindruckt Sie besonders?
Mein Lieblingsbayer für alle Zeiten ist Mehmet Scholl. Da hatte ich über MTV die Möglichkeit, ihn halbprivat kennenzulernen.
Und Sie beide haben einen ähnlichen Musikgeschmack.
Ja, darüber sind wir uns nähergekommen, wir haben Plattentipps ausgetauscht. Er hat schon einen Plan von vernünftiger Indie-Musik, der Mehmet.
Ansonsten?
Haben mich die siebziger Jahre geprägt mit Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß. Aber egal, wer spielt: Ich finde seit fast 40 Jahren immer irgendetwas an dem Verein, was mich mitnimmt und total glücklich macht.