Die Katze aus dem Westerwald

Die Idee, Thomas Kraft ins Tor zu stellen, nennt Boss Rummenigge eine „exklusive Entscheidung“ des Trainers. Für die van Gaal gute Gründe hat. Die AZ erklärt, warum der Wechsel Sinn macht.
MÜNCHEN Selbständig sein im Spiel, eigene Entscheidungen treffen, keine Scheu vor einer noch so großen Herausforderung zeigen – das wird im Fußball ganz besonders von einem Torwart verlangt. Als neue Nummer eins des FC Bayern sowieso.
Thomas Kraft war 16, als er im Sommer 2004 seine Heimat Kirchen und seinen Verein, die SG 06 Betzdorf, verließ. Er kam in der B-Jugend zum FC Bayern, er nahm sich eine eigene Wohnung, ins Jugendhaus an der Säbener Straße wollte er nicht ziehen.
Trainer Felix Magath war es, der ihn 2006 aus der A-Jugend zu den Profis holte und zum ersten Mal mittrainieren ließ, zu Zeiten von Oliver Kahn und Michael Rensing. Er durfte mit seinem großen Vorbild trainieren, mit Kahn. Und dem fiel im Herbst seiner Karriere bereits auf, wie gut der junge Kerl aus dem Westerwald hielt. „Thomas hat oft mit uns trainiert und alle spürten sofort, da ist einer, der enorm was drauf hat", sagte Kahn der AZ und zählte auf: „Sehr gute Reflexe, sehr stark auf der Linie, ein sehr außergewöhnliches Talent."
Kraft war so gut, dass man sich hinter vorgehaltener Hand schon damals beim FC Bayern erzählte, er sei besser als Michael Rensing, der als Kahn-Nachfolger aufgebaut wurde. Nun ist Rensing nach einem halben Jahr der Arbeitslosigkeit beim 1. FC Köln gelandet, Kraft wird ab sofort das Tor des FC Bayern hüten. Denn Trainer Louis van Gaal wird seine einsam getroffene Entscheidung durchziehen.
Montagnachmittag traf sich der Coach mit den Bayern-Bossen um Karl-Heinz Rummenigge, Präsident Uli Hoeneß und Sportchef Christian Nerlinger. Die waren letzte Woche gar nicht angetan von der geplanten Keeper-Rochade. „Die Aufstellung ist exklusiv Kompetenzbereich des Trainers“, sagte Rummenigge und bekräftigte: „Wenn der Trainer Thomas Kraft am Samstag aufstellen sollte, ist das seine exklusive Entscheidung – und damit Ende."
Sportlich könnte der Torhüter-Wechsel Sinn machen. „Thomas hat in den letzten Jahren gezeigt, wozu er fähig ist", sagte Kahn, der ihn mit Sepp Maier vergleicht: „Von seinen Bewegungen erinnerte er mich immer an den Sepp. Auch Kraft hat dieses geschmeidige, dieses katzenhafte." Kraft, die Katze aus dem Westerwald.
Maier, Katze I., war schon immer begeistert vom Keeper, der im Juli 2008 sein Debüt in der U 23 feierte. Schon oft hatte er zur AZ gesagt: „Unterschätzt mir den Thomas nicht! Das wird einmal ein Riese. Die können sich das Geld für einen neuen Torhüter sparen, sie haben Kraft." Eine hohe zweistellige Millionen-Summe wollen die Bosse im Juli an den FC Schalke überweisen, um Nationaltorwart Manuel Neuer zu verpflichten. Ein Transfer, den Coach Louis van Gaal intern offenbar nicht befürwortet, er gilt als Diamantenschleifer und würde auch gerne Kraft zur ersten Kraft bei Bayern ausbilden.
Für die Torwartförderung hat er im Sommer 2010 einen Vertrauensmann verpflichtet: Frans Hoek, Holländer. Sowohl bei Ajax als auch bei Barca war er van Gaals Keeper-Ausbilder. Gemeinsam verhalfen sie Edwin van der Sar (heute Manchester United) mit 20 Jahren bei Ajax Amsterdam ins Tor, Victor Valdes gaben sie im selben Alter bei Barcelona eine Chance. „Hoek ist ein sehr wichtiger Mann", sagte van Gaal, „er ist ein Spezialist, deswegen habe ich ihn ja auch geholt. Er trainiert meine Philosophie." Und die lautet: Der Torwart ist der elfte Feldspieler. Kraft kann das. Im Training fällt er nicht ab, wenn er sich unter die Feldspieler mischt, im Sommer glänzte er in einem Test am Gardasee als Innenverteidiger.
Schnell ist er. Auf allen Ebenen. Vor gut zwei Jahren hat Kraft seine Freundin Denise geheiratet. Ihr ganzer Stolz: Zwei Rottweiler, Dina und Blake. Eine Katze bändigt zwei Hunde.
Patrick Strasser