Die Kane-Premiere: Der deftige Stimmungsdämpfer
München - Und dann kam er. Endlich, endlich. Das Grummeln der Bayern-Fans in der Allianz Arena hatte von Minute zu Minute zugenommen – nicht nur wegen des zwischenzeitlichen Spielstands von 0:2 im Supercup gegen Pokalsieger RB Leipzig (Endstand 0:3). Dieses Titelchen, das Amuse-Gueule der am Freitag beginnenden Bundesliga-Saison, war im Grunde weniger wichtig als der Moment des so ersehnten Debüts von Bayerns neuer Nummer neun. Wann würde Trainer Thomas Tuchel endlich ihn bringen? Ihn, den Hoffnungsbringer. Den vermeintlichen Heilsbringer, den Tore- und Titelbringer Harry Kane.
FC Bayern: Kane wird mit stehenden Ovationen begrüßt
Bereits ab der 47. Minute, also kurz nach der Pause, hatte sich der 30-Jährige aufwärmen dürfen. Als Kane, für 100 Millionen Euro plus Bonuszahlungen im zweistelligen Millionenbereich von Tottenham Hotspur verpflichtet und mit einem Vertrag bis 2027 ausgestattet, von der Bayern-Bank hinüberschritt zum Aufwärm-Bereich vor der Südkurve, wurde er mit stehenden Ovationen und „Ha-rry! Ha-rry!“-Rufen begrüßt. Beinahe
Zuvor hatten die Bayern in frappierender Offenheit all ihre Schwächen und Baustellen offengelegt. Speziell in Sachen Torabschlüsse. Oder andersherum formuliert: Die ersten 45 Minuten waren eine Vorführung der Leipziger in Sachen Klarheit und Effizienz – 0:2 zur Pause, beide Treffer erzielte Dani Olmo mit wohlwollender Begleitung und staunender Beobachtung der Münchner Abwehr. Von den Tribünen gab es Pfiffe. Diesen Abend konnte den Bayern nur noch Kane retten. Beinahe schüchtern und aufgrund all der Euphorie leicht verlegen, winkte er zurück.
Tel zwar engagiert, aber vergiebt viele Chancen
Beim Aufwärmen konnte Kane wie zuvor schon von der Ersatzbank aus beobachten, was den Bayern fehlt: Einer wie er. Ein Neuner, ein Torjäger. Mathys Tel, der 18-jährige Franzose, stets bemüht, doch immer noch mit dem Label Sturm-Talent versehen, machte viele Meter – aber keine Tore.
Die 16. Minute: Tel, perfekt bedient von Serge Gnabry, schießt völlig frei RB-Torwart Janis Blaswich an – aus Mittelstürmer-Position, aus der perfekten Kane-Position. Ein Muss-Tor. Dann die 24. Minute: Wieder Tel, wieder nach Vorlage von Gnabry, wieder aus Mittelstürmer-Position, mittig aus rund neun Metern, diesmal verzogen, mit links satt drüber. Ein Kann-Tor.
Kane noch bis tief in die Nacht beim Medizin-Check
Kane-Tore sollen den Bayern ab diesem 12. August Titel und Triumphe bringen. Vor Anpfiff des Supercups hatte Tuchel bei Sat.1 gesagt: „Wir werden ihm ein paar Minuten geben. Ich glaube, dass es auch für Harry ein wenig viel war.“ Kane, der erst am späten Freitagnachmittag in München gelandet war und bis tief in die Nacht den Medizin-Check absolvierte, sei in der Nacht zum Spieltag erst „weit, weit nach Mitternacht ins Bett gekommen“.
Also wollte man neuen Superstar, den Rekordtransfer der Bundesliga-Historie, mit einem Einsatz von Beginn an nicht „überstrapazieren“, so Tuchel. Man habe sich eine Einwechslung aber „fest“ vorgenommen: „Er möchte spielen. Wir möchten, dass er spielt.“
Die Fans wollten es am meisten. Ab der 50. Minute wurden die „Ha-rry Kane! Ha-rry Kane!“-Rufe Immer lauter, immer fordernder. In der 60. Minute durfte der unglückliche Tel noch eine letzte Chance verballern, dann war Kane-Time. Solch eine Begeisterung, solch einen Jubel-Orkan hatte die Allianz Arena in ihren 18 Jahren seit der Eröffnung 2005 selten erlebt – vielleicht noch beim Debüt von Arjen Robben im August 2009, als er in Franck Ribéry sofort einen kongenialen Partner gefunden zu haben schien.
Tuchel schwärmt von Kane: "Ist großes Statement"
Tuchel hatte via TV dem Neuankömmling noch ganz, ganz warme Worte mit auf den Weg gegeben. „Das ist ein großes Statement. Wir haben den Kapitän der englischen Nationalmannschaft aus der Premier League geholt. Er hat das gewisse Etwas und wird es hoffentlich unter Beweis stellen“, schwärmte der ehemalige Chelsea-Coach und fügte stolz hinzu: „Größer als die Erleichterung ist noch die Freude. Das ist eine sensationelle Nachricht für uns als Verein und für die Bundesliga. Das ist eine Top-Verstärkung für uns.“
Kanes Premiere in Bayerns neuen Kleider, dem frisch auf den Markt geworfenen Champions-League-Trikot, ging erstmal nach hinten los. Weil der zuvor frische und freche Noussair Mazraoui (kam zur Halbzeit für den matten und indisponierten Benjamin Pavard) einen Handelfmeter verursachte, stand es nach Olmos drittem Treffer des Abends 0:3 – nur fünf Minuten nach Kanes Einwechslung, dem emotionalen Höhepunkt.
Doppelt bitter für die Bayern, die sich nicht nur einen feurigen Abend, sondern auch den ersten Titel der Saison erhofft haben. Alles verpufft. Ein dicker Stimmungsdämpfer – trotz der „Ehrenrunde“, auf die Kane mit einigen Mitspielern ging. Es war eher eine Art Entschuldigungsrunde.

FC Bayern: Kane bekommt bei Debüt keine Torchance
„Ich hoffe, dass ich eine Rolle spielen kann“, hatte Englands Teamkapitän vor der Partie in einem Video auf der Bayern-Homepage gesagt, im Endeffekt hatte er jedoch keine einzige Torchance und nur ganz wenige Ballkontakte. Dass Kane noch nicht ins Bayern-Spiel eingebunden sein konnte, war nach der einzigen gemeinsamen Trainingseinheit am Samstagvormittag jedoch klar.
Dennoch hatte Tuchel auf der Pressekonferenz nach der Partie auf die Frage, ob der Engländer nun Aufbautraining braucht, eine klare Antwort: "Es gibt keinen Aufbau. Er trainiert und spielt. Er wird in Bremen beginnen. Er spielt jedes Spiel."
Als Kane um 20.10 Uhr zum Warmmachen in die Allianz Arena einlief, brandete der erste Jubelsturm der Heim-Fans los. Aus den Lautsprechern dröhnte der Scorpions-Hit „Rock you like a hurricane“, Kane winkte kurz ins Publikum, ehe er sich mit den Ersatzspielern warmlief. Danach legte die Stadionregie noch „Sweet Caroline“, auf. Zu diesem Klassiker waren die Briten um ihren Captain Kane bei der EM 2021 bis ins Finale gestürmt. Damals unterlagen die Engländer im Elfmeterschießen gegen Italien.
Und auch an diesem schwül-warmen Samstagabend in Fröttmaning sollte es nichts werden mit Kanes erstem Titel seiner Karriere. Aber was sind schon etwas mehr als 24 Stunden bei Bayern als zwölf Profi-Jahre bei Tottenham?