Die Großwildjäger vom FC Bayern

Audio von Carbonatix
„Allererste Sahne!“ Die Bayern sind bereit, sich 2010 mit den Allerbesten Europas zu messen.
MÜNCHEN Franz Beckenbauer ist ja bekannt für sein glückliches Händchen. Also haben sie ihm nachts im Premiere-Studio gleich mal einen Lostopf mit sieben gelben Kugeln hingestellt: die sieben möglichen Gegner des FC Bayern im Champions-League-Achtelfinale. Beckenbauer also griff zu und zog: Real Madrid. Da lächelte der Bayern-Präsident (nicht nur, weil Madrid auf dem Zettel ohne „a“ geschrieben war). „Ja, da schau her!“, befand der Franz. Und um sicher zu gehen, dass niemand geschummelt und ihm sieben gleiche Lose in die Schale gelegt hatte, zog er gleich ein zweites Mal. Diesmal erwischte er: FC Chelsea. Das gefiel dem Franz ebenfalls: „Auch nicht schlecht.“
Klar, es war nur ein kleines Fernseh-Spiel – weit nachdem die Bayern mit dem 3:2 in Lyon den Sieg in Gruppe F klargemacht hatten. Aber es machte zweierlei deutlich. Erstens: Im Achtelfinale, das am 19. Dezember in Nyon ausgelost wird, droht den Bayern ein Gegner von europäischem Großkaliber. Zweitens: Das macht ihnen überhaupt keine Angst. Im Gegenteil.
Der Phantomschmerz aus dem enttäuschenden Jahr im Uefa-Cup ist längst verfolgen. „Wir haben uns vorgenommen, auf Augenhöhe mit den europäischen Topteams zu ziehen. Das ist uns gelungen,“ beurteilte Klinsmann die aktuellen Quartalszahlen. Zu Beginn der Saison hatten sie ihn ja aus Kalifornien geholt, um den FC Bayern zu einer illustren Jagdgesellschaft zu formen. Eine, die Europas Großwild ins Visier nehmen kann. Und jetzt hat er einen Teilerfolg verbucht.
„Wir haben in der Gruppenphase gesehen, dass wir mit allen mithalten können. Das gibt Selbstvertrauen. Darauf können wir stolz sein,“ erklärte Klinsmann. Seit 15 Spielen hat der FC Bayern nicht mehr verloren. „In der Champions League“, rechnete Manager Uli Hoeneß vor, „haben wir vier Siege, zwei Unentschieden und nix verloren: Das ist sensationell!“ Tatsächlich marschierte nur der FC Liverpool ähnlich souverän durch die Gruppenphase. Das erstaunte sogar Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge: „Ich hätte nicht gedacht, dass wir so souverän durchmarschieren.“
Jetzt ist die Zeit der Bescheidenheit vorbei. Mir san mir – europaweit! „Ich glaube nicht, dass wir für die anderen ein Wunschgegner sind“, befand Rummenigge im Rausch des neuen bayerischen Selbstbewusstseins, „es wird nicht einfach sein, den FC Bayern aus diesem Wettbewerb rauszuschmeißen."
Während der Galavorstellung in der ersten Halbzeit gegen Lyon habe er bei den Bayern „fast perfekten Fußball" gesehen. Klinsmann lobte: „Allererste Sahne!“ Jetzt, so Rummenigge „geht es erst richtig los!“ Die Jagd auf den Henkelpott ist offiziell eröffnet. Und die Konkurrenz erscheint den Bayern längst nicht mehr übermächtig. Beckenbauer befand: „Alle Mannschaften haben Probleme.“ Er nannte Arsenal, er nannte Real Madrid. Franz: „Selbst Barcelona, die stärkste Mannschaft, hat gegen Donezk gepatzt (2:3, d. Red.). Aber mit allen anderen können wir uns messen.“
Als er das sagte, war die Mannschaft längst unterwegs zum mitternächtlichen Bankett im Lyoner Mannschaftshotel, dort ging der Fußballfestabend mit Gänseleber und Austern weiter. Ausgerechnet an jenem Ort, wo 2001 Franz Beckenbauer mit seiner legendären Wutrede die Bayern wachgerüttelt hatte. In derselben Saison gewannen sie dann den Henkelpott.
Den Weg dahin hat Beckenbauer nun erneut vorgezeichnet. Als Losfee. Da ist Verlass auf ihn. Vor einem Jahr hatte er bei Premiere schon mal Schalke den FC Barcelona als Gegner zugelost. So kam es tatsächlich. Demnach dürften die Bayern diesmal mit Real Madrid als nächstem Gegner planen. Na dann: Waidmanns Heil!
Reinhard Keck