„Die bisher schlimmste Situation meines Lebens“

Wie die schwere Krankheit seines geliebten Vaters Bayern-Star Daniel van Buyten belastet.
MÜNCHEN Rund 15 Minuten. Mehr Zeit hatte Daniel van Buyten nicht. In einer Viertelstunde vom Bankdrücker zum Protagonisten. Als sich Hamit Altintop am Dienstagabend beim Aufwärmen vor der Partie gegen Bayer Leverkusen einen Muskelfaserriss zuzog, machte van Buyten (31) gerade ein paar lockere Übungen mit den anderen Reservisten. Wieder ein Spiel aus der Bank-Perspektive. Wieder nur auf stand by. Wieder nur passiver Beobachter. Und ganz alleine mit den Gedanken.
„Als ich in der Kabine war, kam plötzlich Trainer Heynckes zu mir und sagte: ,Du musst spielen.' Und plötzlich ging ich mit den anderen raus auf den Platz." Es war sein erster Einsatz als Innenverteidiger von Beginn an seit dem 14. März, seit dem 3:0 beim VfL Bochum.
Vater van Buyten schwebte zwischen Leben und Tod
Eine Woche später war er noch ein Mal Joker – wie so häufig zu vor. Und nur ein paar Tage später war ihm das alles egal. Alles unwichtig. Sein Vater Franz war schwer erkrankt, er musste mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus, sofort ab auf die Intensivstation. Es bestand Lebensgefahr. Van Buyten reiste in seine belgische Heimat. Bundesliga, Meisterschaft, Champions League, die Duelle gegen den FC Barcelona – völlig irrelevant. Van Buyten kämpfte um seinen Vater. Ein Kampf auf Leben und Tod. Es fällt ihm, diesem Koloss mit knapp zwei Metern Körpergröße, schwer darüber zu reden. Er schluckt, spricht mit leiser Stimme. „Mittlerweile geht es ihm etwas besser – zum Glück. Aber diese Sache hat mich sehr getroffen, es war die bisher schlimmste Situation meines Lebens", sagte van Buyten der AZ, „es war nicht leicht, das zu verstehen und zu verarbeiten.“ Wochenlang kümmerte er sich um seinen Vater, Tag und Nacht. An Fußball war nicht zu denken.
Wie sehr van Buyten litt, verriet er auf seiner Homepage in dramatischen Worten: „Ich habe nichts verstanden und werde wohl nie verstehen. Wie konnte mein Vater, dieser Riese, dieser Hüne so ins Abseits gedrängt werden, er, der unentwurzelbar schien? Wie konnte ein Mann, der für mich immer ein Vorbild war in seiner Lebensweise, der nicht trank, nicht rauchte, plötzlich mitten im Gehirn heimgesucht werden, wo so viele andere, die es gewöhnt sind, die gelbe Linie zu überfahren, ihren Weg unbeschadet fortführen. Wie konnte dieser Muskelberg so niedergeschmettert werden?"
"Wie konnte dieser Muskelberg so niedergeschmettert werden?"
Van Buyten wich nicht von seiner Seite. Er sagt: „Für nichts auf der Welt hätte ich woanders sein wollen als in seiner Nähe, bei meinem Vorbild.“ Franz van Buyten reiste als Wrestler durch ganz Europa, ermöglichte seinem Sohn die Fußballerkarriere. Nun kämpfen beide. Van Buyten nennt es „ein Match“, das Match auf Leben und Tod. Mit den Gedanken bin ich immer bei ihm. „Wenn es die Zeit zulässt, besuche ich ihn“, erzählt van Buyten der AZ, „die Bosse und Herr Heynckes haben da vollstes Verständnis und lassen mich zu ihm.“ Seine Aufgabe beschreibt er so: „Ich bin wie ein physischer Betreuer, ich muss den besten Spieler der Welt wieder auf die Beine bringen.“
Es gibt Hoffnung. „Mittlerweile ist er so genesen, dass er die Spiele anschaut. Ich hätte sehr gerne ein Tor für ihn gemacht, vielleicht gelingt mir das noch in den letzten beiden Spielen.“ Spielen ist die beste Ablenkung – gegen die Unruhe, die zerstörerische Ungewissheit. Van Buyten sagt: „Als ich auf der Bank gesessen bin, sind meine Gedanken schon sehr oft zu ihm abgeschweift. Und ehrlich gesagt: Auch ein paar Mal im Spiel gegen Leverkusen. Das lässt einen nicht los."
Patrick Strasser