Die Bayern im Rausch: Der Mai ihres Lebens
MÜNCHEN - Nach dem Einzug ins Champions-League-Finale schwebt der FC Bayern auf einer Wolke und beschwört die große Familie. Und Trainer Louis van Gaal sagt zur Sicherheit: „Noch haben wir nichts gewonnen.“
Karl-Heinz! Karl-Heinz! Warte“, rief Hoeneß. Kalle sagt er nicht. Nie. Nicht einmal berauscht. Uli ruft Karl-Heinz Rummenigge immer Karl-Heinz. „Ja, Uli“, brüllte der Kalle zurück, „jetzt komm’ schon!“
Der Mini-Bus draußen vor dem Hotel „Novotel Bron“ in den Außenbezirken von Lyon hatte schon den Motor angelassen. Die Bosse des FC Bayern wurden vom Mitternachtsbankett im Saal „Espace Congrès“ zurück zum Flughafen geshuttelt. Nein, um kurz nach 2 Uhr nachts sollten die Herren mit Schal und Fahne nicht nach München fliegen. Das machen nur Fans, die tatsächlich um 5 Uhr nach durchfeierter Nacht abheben. Die ersten Fans des Vereins, Hoeneß und Rummenigge, wurden zurück ins Hotel gebracht, ins „NH Lyon Aéroport“.
Es gibt so schöne Hotels in Frankreich. Die Bleibe der Bayern in Lyon war nicht unbedingt Halbfinal-würdig, aber eben zweckmäßig. Kurze Wege, kein Schnickschnack. Der Charme des Lyoner Stadtteils Gerland mit dem danach benannten „Stade de Gerland“ hält sich in Grenzen, auch das Finaleinzugs-Dinner hat schon an spektakuläreren Orten als diesem stattgefunden. Eine Kongress-Absteige, als wären die Bayern bei irgendeiner Messe zu Gast.
Dabei war ihr Auftritt von der Kategorie große Oper. „Ich habe das auf der Tribüne gespürt, wie sich um uns herum, der Karl-Heinz und ich saßen da ja ganz allein inmitten all der Gastgeber, wie sich der Wind gedreht hat“, erzählte Präsident Hoeneß. „Erst hatten die Franzosen Euphorie.“ Dann kam Olic. Das 1:0. „Danach war Ruhe.“ Bis zu Olic’ zweiten Streich, dem Treffer zum 2:0, der das Halbfinale praktisch beendete und die erste Finalteilnahme seit dem Triumph im wichtigsten Vereinswettbewerb 2001 sicherstellte. Der Rest war, wieder Hoeneß, „Bewunderung“. Seine Augen glänzten als spiegelten sie sich schon in dem überdimensionalen Pott mit den Elefantenohren als Henkel wieder, um den es gilt am 22. Mai in Madrid beim Finale. „Diese Bewunderung“, wiederholte Hoeneß, „die hat mich am meisten stolz gemacht.“ Nach der Party mit den mitgereisten 2000 Fans im Stadion wieder vor der Haupttribüne angekommen, staunten die Profis: Viele der zuvor die Heimmannschaft fanatisch unterstützenden Franzosen applaudierten nun den Bayern. Chapeau! Es war der Ritterschlag.
Um Mitternacht bildeten die Vip-Fans und Sponsoren ein Spalier, als der Mannschaftsbus vorfuhr zum Dinner und skandierten „Fi-na-le oho!“ Auf jedem Tisch stand pro Gedeck ein Glas Champagner bereit. Noch blieben die Köstlichkeiten der französischen Küche am Büffet unberührt – unter anderem Scampi-Spieße mit karamellisierter Ananas, Enten-oder wahlweise Kaninchen-Oliven-Terrine sowie Gambas, Schaum vom Hummer sowie Risotto mit Jacobsmuscheln. Erst war Rummenigge dran. Vor neun Jahren, als die Bayern in Lyon mit 0:3 ähnlich vorgeführt wurden wie die Gastgeber diesmal, hatte der damalige Präsident Franz Beckenbauer mit dem Team („Uwe Seeler-Traditionself!“) abgerechnet.
Diesmal wurde es ein Jubel-Eloge. „Gestern vor der Abreise habe ich gesagt: Diese Mannschaft verdient es, ins Finale einzuziehen. Ich glaube, das hat sie sich heute auch verdient.“ Rummenigge wurde von Applaus und Gegröle unterbrochen. „Und ich sage heute, nachdem wir das Finale erreicht haben: Diese Mannschaft verdient es, auch die Champions League zu gewinnen!“ Neben der Meisterschaft und dem Pokal? Es könnte der Mai ihres Lebens werden. Die Party schien in Schwung zu kommen.
Und stockte dann doch. Kurz nach ein Uhr wurden die Spieler, die ein wenig auf ihren Salattellerchen herumstocherten, sich dazu allenfalls ein kleines Weißbier genehmigten, ins Bett geschickt – auch Trainer Louis van Gaal fuhr mit. Nur die Bosse blieben bei den Vips und Sponsoren. Eine weitere Stunde.
„Wir haben nicht gefeiert“´, sagte van Gaal Tags darauf am Flughafen und fragte die Reporter: „Oder es ist so, dass ich nichts davon weiß?“ Natürlich nicht. Rotwein und Zigarren waren dem Präsidententisch vorbehalten. „Ich konnte ganz gut und recht schnell einschlafen, das ist nicht immer so nach diesen Abend-Spielen“, erzählte Philipp Lahm, „da geht einem oft noch das ganze Spiel durch den Kopf. „Gestern Abend startete die Vorbereitung für das Spiel am Samstag gegen Bochum. Ich habe der Mannschaft gesagt, dass wir noch nichts gewonnen haben“, meinte van Gaal. So ist er, der Trainer. Kauzig, kantig, knallhart realistisch. „Sie haben zehn Monate mit van Gaal leben müssen, das ist nicht einfach. Ich habe das Gefühl, dass meine Spieler jetzt sehr froh sind.“ Wie die Bosse. „Van Gaal ist eine täglich Herausforderung“, sagte Hoeneß und lachte.
Man hat sich arrangiert. „Was den FC Bayern im Moment auszeichnet, ist eine große Familie, die sehr eng zusammengerückt ist“, sagte Rummenigge. Und so will man auch gegen die am Mittwoch von der Uefa verhängte Sperre von drei Spielen – also inklusive Finale – gegen Franck Ribéry vorgehen. Das trübte ein wenig die Stimmung. Aber nur ein wenig.
Als die Mannschaft am Mittwochnachmittag zum Auslauftraining an die Säbener Straße kam, wurde sie von rund 1000 Fans lautstark gefeiert. ein paar Anhänger hatten „Fi-na-le oho!“auf ein riesiges Plakat geschrieben. Van Gaal bereitete es großen Spaß, jeden einzelnen persönlich abzuklatschen. Sogar, wenn ihn ein Fan duzte.
Patrick Strasser