Die Bayern im Oma-Tempo

Die Mannschaft hat ihr Trainingslager in Donaueschingen beendet. Das Ergebnis stellt Trainer Louis van Gaal noch nicht zufrieden. Immerhin haben die vergangenen Tage einige Erkenntnisse geliefert. Die AZ bilanziert sie.
DONAUESCHINGEN Selbst die Balljungen zucken zusammen, wenn van Gaal ertönt. Per Trillerpfeife oder rauer Stimme. Ob Anpfiff oder Lob: Er bellt es laut wie eine Stadionsprecherdurchsage quer über den Trainingsplatz. Hoppelnde Pässe, falsche Positionierung, unzulängliches Spiel ohne Ball sind dem Holländer ein Graus.
Während unter Jürgen Klinsmann stur Kondition gebolzt und danach etwas rumgebolzt wurde mit Kuschel-Ansagen (das aber, immerhin, in fast jeder denkbaren Sprache), wird nun Fußball gelehrt. Mit sofortigem Einschreiten des Lehrers. „Unglaublich! Das ist kein Pass“, schimpft er hier und da, brüllt „keine Technik!“ und kommentiert, als Edson Braafheid einen Stellungsfehler macht: „Das sieht meine Großmutti noch.“
Trainiert wird mit Tempo und vielen Unterbrechungen samt sofortiger Taktik-Belehrung, doch wirklich voran kommt der 57-Jährige nicht mit seiner Mannschaft. Die Operation Fortschritt läuft – bestimmt auch für van Gaals Großmutti erkennbar – im Oma-Tempo.
Am Donnerstag endete das Trainingslager in Donaueschingen, der Tross flog am Abend nach Köln. Dort findet am Freitag der nächste Test statt, das Abschiedsspiel von FC-Rückkehrer Lukas Podolski (20.45 Uhr, RTL). Der Coach spricht von einem „Prozess“, in dem sein Team stecke. Doch wie weit sind die Bayern Ende Juli 2009 wirklich?
Der Prozess Stammelf
Am Donnerstag ließ van Gaal im Training wieder elf gegen elf spielen. In der A-Elf: Butt - Lahm, van Buyten, Badstuber, Braafheid, im Mittelfeld van Bommel, Timoschtschuk, Pranjic, Müller, vorn Gomez und Klose. Was auffällt: Van Buyten hat nach seiner einwöchigen Zwangspause Demichelis wieder in die B-Elf verdrängt, Müller durfte den Ribéry-Ersatz auf der 10er-Position geben, als Spielmacher. Er und Badstuber sind neben van Buyten und Mittelfeld-Chef van Bommel die Gewinner der dreiwöchigen Vorbereitung. Die Verlierer: Rensing bleibt Reserve, so wie Altintop und Sosa, zu Beginn noch in der A-Auswahl. Franck Ribéry (Patellasehnenentzündung) und Luca Toni (Achillessehne) absolvieren ihr Reha-Programm am Wochenende in München.
Der Prozess Hierarchie-Findung
Noch hat sich van Gaal nicht auf einen Kapitän festgelegt. Mark van Bommel, bis Ende der letzten Saison Amtsinhaber und nun Interims-Lösung, sagte, die Sache sei noch nicht entschieden. Was aber auffällt: Egal wen man fragt, ob Lahm oder Klose, beides Anwärter, so antworten sie brav: „Das ist nicht wichtig, spielt keine Rolle.“ Bloß nicht vorschnell oder -laut sein, das mag van Gaal nicht. Das Sagen im Team haben die Routiniers wie van Bommel, Klose, sogar Butt oder eben Lahm. Die Neuen geben sich Mühe, nicht unangenehm aufzufallen. Die Wackel-Kandidaten Ottl, Lell, Görlitz, Sosa und Altintop arbeiten fleißig; sie könnten die nächsten sein, die gehen dürfen – siehe Tim Borowski, der zu Werder zurück durfte. Die Stimmung ist konzentriert, angespannt. Sehr arbeitsam.
Der Prozess Systemsicherheit
Gnadenlos lässt van Gaal Passformen und rasante Ballzirkulation einstudieren. Für die Spieler ist dieses detailbesessene Training eine Kulturrevolution. Und weil van Gaal spürt, dass der Lerneffekt auf sich warten lässt, bedient er sich – freilich unbewusst – fast Klinsmannscher Rhetorik: „Die ersten zwei Monate können schwer werden“, sagte van Gaal, „wir arbeiten hart und wollen uns jeden Tag verbessern. Das ist ein Prozess.“ Der Unterschied zu Klinsmann: Die Spieler vertrauen van Gaal und seinem Können.
Der Trainer sagt: „Wir müssen die ersten beiden Monate der Saison irgendwie über die Runden bringen.“ Wer im Oma-Tempo beginnt, kann sich wenigstens steigern.
Patrick Strasser