Der Stand-heute-Visionär

Das ZDF verkauft Jürgen Klinsmanns Auftritt im „Sportstudio“ als Event, doch der „Erschaffer“ gibt sich geerdet: „Wissen Sie, was morgen passiert?“
Er tauchte auf wie ein Phantom. Als Jürgen Klinsmann durch den künstlichen Nebel ins Studio am Mainzer Lerchenberg trat, musste er sogar ein bisschen mit den Händen fuchteln, um den Durchblick zu behalten. Klarheit sollte er mit seinem Auftritt im „Aktuellen Sportstudio“ schaffen, seine Vision vermitteln, seine Pläne erläutern. Und Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein schloss Klinsmann gleich mal verbal in die Arme. „Sie werden gemocht in Deutschland, Herr Klinsmann“, sagte die Moderatorin, nachdem der Begrüßungsapplaus für den Bayern-Trainer verebbt war.
Das ZDF inszenierte den Auftritt des ehemaligen Bundestrainers als Event: Zuschauer durften per E-Mail oder sogar per Video Fragen stellen, in den Einspielfilmen präsentierte der Sender Klinsmann als Reformer, zog aber auch Parallelen zum einst an Säbener Straße gescheiterten Trainer-Guru Otto Rehhagel und dokumentierte das Erscheinen und Verschwinden der Buddha-Skulpturen im Leistungszentrum. Der Plan war offensichtlich: Klinsmann sollte einen wegweisenden Auftritt Rangnick’scher Dimension – der heutige Hoffenheim-Trainer hatte einst an der Taktiktafel über Spielsysteme doziert – hinlegen. Die schöne, neue Bayern-Welt, erläutert vom Erschaffer höchstselbst.
Doch was machte der sonst so selbstbewusste Schwabe, der innerhalb von ein paar Wochen den gesamten FC Bayern umgekrempelt hat? Der seine Bosse dazu brachte, ein zehnköpfiges Betreuerteam einzustellen? Der sogar die Bayern-Kabine in Fröttmaning in eine Wellness-Oase umgestaltet hat? Er verweigerte die ihm zugestandene Hauptrolle und gab sich geradezu geerdet. Nach dem ZDF-Einspieler zum Thema „Klinsmanns Philosophie“ wurde deutlich, dass er lieber über die Leiden mit seiner alltägliche Sisyphos-Arbeit – gerade nach der erneut verspielten Führung in Gladbach – sprechen wollte. „Ich wusste nicht, was mich im Detail erwartet“, berichtete ein unsicher wirkender Klinsmann und saß mit hängenden Schultern und Mundwinkeln auf seinem Stühlchen. Er sei eben beim FC Bayern, gerade im Vergleich zum Bundestrainer-Job, „nun jeden Tag gefordert“. Außerdem müssten eben auch „die Ergebnisse stimmen“. Eine wenig revolutionäre Erkenntnis.
Statt in die Zukunft zu blicken, präsentierte sich der 44-Jährige, mit seiner neuen Kurzhaarfrisur übrigens optisch wesentlich erfahrener wirkend, als Stand-heute-Visionär. So hat Petersburg-Star Andrej Arschawin „Stand heute“ noch nicht beim FC Bayern unterschrieben. So würde Lukas Podolski „Stand heute“ in der Winterpause nicht verkauft. Und um nicht irgendwann als Lügner dazustehen, stellte Klinsmann der tapfer nachfragenden Müller-Hohenstein sogar die Gegenfrage: „Wissen Sie, was morgen passiert?“ Das, bitteschön, ist doch das Mindeste, was ein Visionär den Alltagsabwicklern erklären könnte – wenn er’s denn preisgäbe.
Und so blieb „am Ende des Tages“, wie Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge so gerne sagt, wenig übrig. Wie immer gab’s Kritik an Lukas Podolski („Er ist ein wunderbarer Kerl, aber er muss den Kampf annehmen, womit er sich sehr, sehr schwer tut“) und vage Aussagen zur internationalen Konkurrenzfähigkeit („Mit Teams wie den führenden Engländern, Barcelona oder Real soll der FC Bayern in absehbarer Zeit, wann immer das sein mag, mithalten“). Dann schoss Klinsmann – erstmals noch bevor die Bundesliga-Berichterstattung beendet war – auf die Torwand, traf unten zwei Mal und verschwand. Irgendwie ein ganz schön nebulöser Auftritt.
Jochen Schlosser