Der rote Rückpass (10): Thomas Berthold
MÜNCHEN - Für Thomas Berthold war Bayern ein Chaosklub. Vielen Fans ist der Verteidiger als gutbezahlter Tribünengast in Erinnerung. Hier erzählt er, wie es dazu kam.
Bayerns Schatzmeister Kurt Hegerich bezeichnete ihn scherzhaft als „bestbezahlten deutschen Golfprofi nach Bernhard Langer“: Thomas Berthold, Weltmeister 1990 und Ex-Bayern-Star. Nach Zoff mit Bayern-Trainer Erich Ribbeck wurde Berthold in der Saison 1992/93 vom Training freigestellt und auf die Tribüne verwiesen. Auf dem Platz galt er als technisch versierter, aber harter Verteidiger
AZ: Herr Berthold, auf dem Platz hatten Sie nicht gerade den Ruf, ein Menschenfreund zu sein.
THOMAS BERTHOLD (44): Ich war auf dem Platz kein Treter. Ich hab von meiner Schnelligkeit und von meiner Technik gelebt.
Immerhin haben Sie die meisten Platzverweise in der Geschichte des VfB Stuttgart kassiert.
Das muss man in der Relation sehen (lacht), ich habe acht Jahre für den VFB gespielt und ich war Verteidiger, natürlich fasst man seine Gegner da nicht mit Samthandschuhen an.
Erich Ribbeck hat Sie dafür ein halbes Jahr auf die Tribüne verbannt. Wieso eigentlich?
Ich kam als Weltmeister aus Rom nach München, hatte eine sehr anstrengende Saison hinter mir und war doch sehr überrascht, wie in München trainiert wurde: Ich bekam Lauftraining verordnet, jeden Tag. Alles, was international Standard war, wurde bei Bayern missachtet – ein differenziertes, individuelles Training gab es nicht. Ich dachte mir: Was ist das für ein Chaosklub hier!
Was denken Sie heute über Erich Ribbeck?
Da will ich nicht viel zu sagen, außer, dass Erich Ribbeck der schlechteste Trainer ist, den ich jemals gesehen habe.
]Heute engagieren Sie sich für Kinder, die weniger Glück im Leben hatten als Sie.
Ich habe mich bereits in Lateinamerika engagiert, als die Egidius Braun Stiftung gegründet wurde. 1999 habe ich dann mein eigenes Projekt für Straßenkinder in Queretaro (Mexiko, d. Red.) begründet.
Wie engagieren Sie sich dort?
Wir betreuen dort 140 Straßenkinder im Alter zwischen 3 und 16, deren Eltern im Gefängnis sitzen, alkoholabhängig sind oder einfach den Kindern keine Zukunft bieten können.
Was kann man sich unter dieser Hilfe vorstellen?
Wir stellen alles bereit, was die Kinder für ihre Entwicklung brauchen. Sie schlafen in der Einrichtung, sie bekommen zu essen, es gibt einen Kindergarten und eine Schule. Die Kinder machen dort ihren Schulabschluss und einige von den älteren studieren bereits.
Der Erfolg muss ein befriedigendes Gefühle hinterlassen.
Wir machen was, wir bewegen was, wir haben dort etwas ins Rollen gebracht – es ist schön, anderen Menschen zu helfen.
Wie finanziert sich das Projekt?
Der Großteil der Einnahmen stammt aus Benefizspielen. Außerdem sind wir Kooperationen mit VW, Audi und in kleinerem Ausmaß auch mit Adidas eingegangen. Wir generieren 50.000 Euro pro Spiel. Niemand steckt seine eigenen Ersparnisse in das Projekt, es ist zu hundert Prozent finanziert, daher möchte ich aus meinem Engagement auch keine Eigenwerbung machen.
Was verbindet Sie mit Mexiko?
Ich habe eine Affinität zu Mexiko bereits seit der WM 1986. Heute habe ich viele Freunde dort und fahre regelmäßig hin. Mexiko ist ein faszinierendes, facettenreiches Land, mit einer traumhaften Natur und einer sehr alten Kultur. Auch die Hauptstadt ist beeindruckend – trotz Verkehrschaos. Ich habe zuletzt Weihnachten mit meiner Familie in Mexiko verbracht.
Welche Rolle spielt die Familie in Ihrem Leben?
Ich bin verheiratet und habe zwei Töchter. Die ältere hat gerade ihr Abitur gemacht, die jüngere ist jetzt neun Jahre. Ich lebe für meine Kinder und für meine Frau, verglichen damit, ist alles andere relativ.
Mexiko ist nicht das einzige Land, zu dem Sie eine besondere Beziehung haben. Sie hatten beruflich auch in der Türkei zu tun.
Jogi Löw hatte mich mitgenommen zu Adanaspor. Ich wollte raus, ein anderes Land kennen lernen, Erfahrungen sammeln. Die Türkei ist ein fußballbegeistertes, ein gastfreundliches Land.
Trotzdem sind Sie nur ein halbes Jahr geblieben.
Das lag vor allem an einem strukturellen Problem des Fußballs in der Türkei. Die Vereine sind dort abhängig von der Willkür, von der momentanen Stimmung der Besitzer.
]Apropos Jogi Löw: Wie beurteilen Sie seine Arbeit bei der Nationalmannschaft?
Löw war schon vor seinem Amtsantritt als Nationaltrainer der entscheidende Mann. Ich halte viel von ihm, er legt seine Finger auch mal in die Wunde. Das ist ziemlich selten im deutschen Fußball.
Jetzt kann Jürgen Klinsmann natürlich nicht unbesprochen bleiben. Wie beurteilen Sie seine Episode beim FC Bayern?
Ich hab das kommen sehen, er war dieser Aufgabe nicht gewachsen, weil er nicht authentisch war. Ohne Authentizität gibt es kein Vertrauen, und ohne Vertrauen ist der Lack ab.
Nach all den Querelen, wie ist Ihr Verhältnis heute zum FC Bayern?
Wir haben kein Verhältnis, der FC Bayern tangiert mich überhaupt nicht.
Auch zu Berti Vogts hatten Sie kein besonders gutes Verhältnis. Nach einem kritischen Interview im „Spiegel“ 1994 war es vorbei mit Ihnen in der Nationalmannschaft.
Ich war immer ehrlich und offen. Es haben damals einfach zu viele Faktoren gefehlt, um erfolgreich zu sein. Fußball muss Spaß machen, und das tat er unter diesen Bedingungen nicht.
Waren Sie enttäuscht über ein solches Ende Ihrer Laufbahn in der Nationalmannschaft?
Ich war nicht traurig. Nach der desolaten Vorstellung in den USA 1994 war klar für mich, ich will nicht mehr! Wir hatten die einmalige Chance, den Titel zu verteidigen, auf einem anderen Kontinent und es wurde über alles geredet und diskutiert, nur nicht über Fußball. Wir alle waren schuld, aber Berti Vogts hat einen ordentlichen Teil dazu beigetragen.
Sie hätten sicherlich nicht mehr arbeiten müssen, nach Ihrer Karriere, sind aber beruflich voll eingespannt.
Was hätte ich denn machen soll? Mit 35 jahren einen auf Rentner machen? Ich bin untzernehmerisch tätig, in der Strom-, der Immobilien- und der Fußballbranche.
Interview: Boris Breyer