Der Kraft-Beweis
Bayerns neuer Nummer 1 Thomas Kraft gelingt ein glänzender Einstand in der Bundesliga. Er erinnert als Typ sogar an Oliver Kahn. Doch ausgerechnet Louis van Gaal warnt: „Das erste Spiel ist immer das einfachste.“
MÜNCHEN Es fehlte noch, dass Thomas Kraft sich während des TV-Interviews mit dem linken Torwarthandschuh am Ohrläppchen gezupft hätte. Das war Oliver Kahn. Ein Meister seines Faches, und einer, der stets überall hinschaute im Gespräch, in die Weiten der Fußballwelt, nur nicht in die Augen seines Gegenübers.
Das hat Kraft drauf. Etwas schüchtern wirkte er bei seiner TV-Premiere nach der Bundesliga-Premiere beim 1:1 der Bayern in Wolfsburg. Aber doch selbstbewusst, um keine Ehrlichkeit verlegen. Von Michael Rensing war zuletzt die Rede, dessen unglücklichen Werdegang er nicht kopieren möchte, von Jörg Butt, der aus dem Tor und allen Wollen fiel, und natürlich vom Schalker Nationaltorhüter, von Manuel Neuer, den Kraft als Neuzugang überflüssig machen möchte.
Da stand er also, dieser 22-jährige, dank seines Beförderers Louis van Gaal ein Jetzt-Schon-Aufsteiger-des-Jahres, und wurde zu seinem ersten Spiel befragt. Einer Partie, die ein ganzes Torwartleben widerspiegelte. Gute Paraden, glückliche Momente wie das abgepfiffene Wolfsburg-Tor in der ersten Halbzeit, ein fulminanter Abschlag, der zur kuriosen Führung durch Müller führte, ein sensationell gehaltener Elfmeter gegen Grafites Gewaltschuss, schließlich ein bitteres Gegentor, bei dem er macht- und schuldlos war. Schizophrenie des Torwartspiels. Fehlerfrei, bester Mann, 1:1. Zwei Punkte verloren.
Gelobt wurde er, beglückwünscht für seine tollen Paraden. Da antwortete er, ganz Kahn: „Ach, tolle Paraden!“ Er grinste. „Ich kann mich nicht wirklich freuen“, sagte er, „ich freue mich natürlich, dass ich gespielt habe, mein erstes Spiel gemacht habe, aber natürlich überwiegt dann ein bisschen der Ärger, weil man das Spiel nicht gewinnt.“ Nun kennt er sie auch in Deutschlands höchster Klasse, die Einsamkeit des Torwart-Jobs im Mannschaftssport.
Der kleine Thomas war 12, als Oliver Kahn im Mai 2001 durch seine Paraden im Elfmeterschießen des Champions-League-Finals von Mailand gegen Valencia zum Bayern-Helden wurde. Er wird ihn oft im Fernsehen studiert haben, und dabei wohl nicht nur das Torwartspiel. Ab 2006 durfte er unter Trainer Felix Magath und später Ottmar Hitzfeld noch zwei Jahre trainieren und lernen. Die Bewegungen habe er von Sepp Maier, doch Katze passt nicht so recht zu seinem Spitznamen in der Mannschaft, zu „Protz“. Kraft erklärt: „Als ich in die A-Jugend hoch kam, haben mich zwei Spieler immer so genannt – wegen meines Nachmanens.“ Paket wäre noch eine Alternative gewesen.
Das bekam der Protz dann von Louis van Gaal. Der wollte nicht loben. „Das erste Spiel ist immer das einfachste“, sagte der Trainer nüchtern, „da sind die Fokussierung und die Imaginisierung anwesend, er will, mit allem, was er hat. Sicher, er hat gut gespielt, aber das zweite, dritte, vierte Spiel – das ist wichtig.“ Ganz gezielt baut van Gaal das auf, was Kahn wie ein Schatten durch seine Karriere begleitete: Druck. Bei Kahn hieß der böse Begleiter immer abfällig „dieser Druuuck!“
Auch Kraft kennt ihn. „Ja, Druck“, kahnte er, „Druck ist so ’ne gewisse Sache. Druck hast du auch, wenn du in der Dritten Liga gegen den Abstieg spielst. Es ist leistungsbezogen. Wenn ich schlecht spiele, sitze ich eben wieder auf der Bank – fertig.“ Das wird so schnell nicht passieren. Er wird sein Revier verteidigen. Es müssen ja nicht gleich Halsbisse oder Genickgriffe sein.
Patrick Strasser