Der Ackergaul aus den Bergen

Eine Handvoll Häuser, ein Dutzend Kirschbäume und Weinhänge - das ist das 300-Seelen-Dorf Stella. Ein Besuch im Heimatort von Bayerns Superstar Luca Toni, wo ihm die Mamma Gnocchi kocht, und der Papa das Haus baute.
von  Abendzeitung
Luca Toni hatte mehrfach für seinen Landsmann Gattuso geworben.
Luca Toni hatte mehrfach für seinen Landsmann Gattuso geworben. © AP

Eine Handvoll Häuser, ein Dutzend Kirschbäume und Weinhänge - das ist das 300-Seelen-Dorf Stella. Ein Besuch im Heimatort von Bayerns Superstar Luca Toni, wo ihm die Mamma Gnocchi kocht, und der Papa das Haus baute.

Von Filippo Cataldo

Fußball spielen? Hier? Nicole Bonvincini kichert ein bisschen. „Wo könnte hier denn ein Fußballplatz stehen?“, fragt sie, ehe sie sich wieder umdreht, ein paar Kaffeebohnen mahlt und noch ein paar Espressi macht für die verbliebenen Mittagsgäste in ihrem Restaurant Pepe Verde.

Ja, wo sollte man auch Fußball spielen in einem Dorf, das praktisch aus dem Nichts auftaucht, wenn man in Maranello auf die enge Bergstraße abbiegt und 13 Kilometer lang die engen Rampen des emilianischen Appenins erklimmt? Wo die größte ebene und unbebaute Fläche höchstens 40 Meter lang ist, wo neben den rund 20 Häusern nur Kirschbäume und Weinhänge stehen?

Stella - Eigentlich ein Paradies für Radfahrer

Stella, dieses 300-Seelen-Dorf inmitten des Appenins, ist ein Paradies für Radfahrer. Auch für angehende Marathonläufer oder Motocross-Fahrer. Aber Fahrradfahren hat den berühmtesten Sohn Stellas nie wirklich interessiert. Luca Toni wollte Fußball spielen. Erst im asphaltierten Hof seines hübschen pastellgelben und rot-braunen Elternhauses, direkt hinter dem Pepe Verde, später dann sechs Kilometer weiter die Berge hinauf, in Serramazzoni, wo es zwar nur unwesentlich flacher ist, aber immerhin eine Piazza und einen Fußballklub gibt.

Zehn Jahre alt war Luca, als sein Vater Giancarlo ihn im Klub anmeldete. Elf Jahre zuvor hatte Giancarlo, der als Anstreicher arbeitete, ehe er vor einigen Jahren in Rente ging, das Wohnhäuschen eigenhändig aufgebaut. Mamma Mara, die heute noch als Hausmeisterin in einer Grundschule arbeitet, war gerade mit Luca schwanger. Luca musste mit dem Bus zum Training, manchmal fuhr ihn auch sein fünf Jahre älterer Bruder Andrea mit dem Motorino hoch.

Der Ackergaul mit dem Hunger nach Toren

Luca wurde Fußballer. Und Weltmeister. Und Bayern-Star. Obwohl seine Füße nicht so elegant über den Fußballplatz tanzen konnten wie die von Karl-Heinz Rummenigge, dem Lieblingskicker von Papà Giancarlo, ein passionierter Fan Inter Mailands. Obwohl Luca nicht so schnell laufen konnte wie Marco van Basten, der damalige Milan-Star und Lucas Idol.

„Sein Laufstil erinnerte mich an den eines Ackergauls“, erinnert sich Paolo Baisi. Der Boutiquenbesitzer war damals der Präsident vom Fußballklub in Serramazzoni. „Aber er hatte diesen unglaublichen Hunger nach Toren“, sagt Baisi weiter. Damals schon. Und Luca traf, in jedem Spiel, mit beiden Füßen, aus allen Lagen. Das blieb auch den Talentspähern des Modena Football Club nicht lange verborgen. Als ihre Besuche in Serramazzoni regelmäßig wurden, gab Baisi den Jungen ab: „Für drei Millionen Lire verkaufte ich ihn an Modena.“ Da war Luca zwölf und eigentlich zwei Jahre zu jung für die Jugend-Akademie. Also parkten sie ihn in Maranello. Hier, direkt gegenüber dem Haupteingang zum Ferrari-Werk, lernte er weiter.

Als sie ihn dann endlich nach Modena holten, war aus dem schmächtigen Jungen mit dem schüchternen Lächeln schon fast der 1,95 Meter große Mann geworden, der heute die Strafräume scheinbar mühelos erobert. Zum Training fuhr er weiter mit dem Bus. Jeden Tag von Stella 40 Kilometer, die Berge hinunter. Und die Schule war immer noch in Serramazzoni. Sechs Kilometer, den Berg hoch. Mittags wartete Mamma Mara immer an der Bushaltestelle in Stella mit der Sporttasche und einem Panino mit Mortadella oder Parmaschinken in der Hand.

„Er ist einer von uns“

Gegenüber der Bushaltestelle liegt Lucas alte Grundschule. Vor Jahren wurde sie aus Kostengründen geschlossen. Jetzt ist da eine Baustelle. Marco, den sie in Stella nur Faraone nennen, und seine Freunde bauen das Haus zu einem Klubhaus um. „Luca hat die Schule für uns gekauft, damit wir einen Platz haben zum Billiard spielen, Bier trinken und Fußball schauen“, sagt der Faraone. Und Papà Giancarlo kommt immer wieder vorbei, um nach dem Rechten zu gucken. In Serramazzoni hat Toni das Grundstück neben seinem alten Fußballplatz gekauft. Sie wollen dort eine nach ihm benannte Fußballschule aufbauen. „Er ist einer von uns“, sagt Luciana Giordani.

Lucas Mamma fährt immer noch mit dem Bus

Hinter dem Tresen steht Sabrina Giordani. Sie ist die Tochter von Luciana und einst mit Luca zur Schule gegangen. „Er ist der Gleiche geblieben, hat immer noch die gleichen Freunde wie früher“, sagt sie. An den Tischen spielen ein paar ältere Herren Karten. Sie nicken zustimmend. „Seine Eltern haben ihn hervorragend erzogen. Er ist so bescheiden.“ Und Luciana ergänzt: „Seine Mamma fährt immer noch jeden Tag mit dem Bus. Dabei muss sie doch längst nicht mehr arbeiten.“ Wenn Toni in Italien ist, besucht er oft die Bar Angela. Dann trinkt er einen Espresso und einen Ananas-Saft. So wie früher, als er bei Signora Giordani in der Bar mit seinen Freunden die Spiele der Squadra Azzurra anschaute. Wenn er seine Eltern besucht, macht Mamma Mara ihm zu essen, Gnocchi e Tigelle, sein Lieblingsessen, oder auch Tortellini. Manchmal gehen sie auch die paar Meter ins Pepe Verde. Meist schläft er in seinem alten Kinderzimmer in Stella, wenn er daheim ist.

Die eigene Villa im Modeneser Nobel-Vorort Montale dagegen steht meistens leer. Vielleicht, weil sie zu weit weg ist von Toni-Land. Vielleicht, weil sie zu nah an Modena liegt. Und nicht in Stella. Dort, wo es noch nicht einmal einen Fußballplatz gibt.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.