Der Abschotter
MÜNCHEN - Er ist bereit für die große Revolution: Den Platzverweis für die Fans an der Säbener Straße. Wieso Einzelgänger Jürgen Klinsmann die Fans aussperren lässt.
Die Distanz war ihm zu groß. 57 Kilometer – von der Seestraße in Rottach-Egern bis zum Olympiastadion. Fast eine Stunde war der Mannschaftsbus der Bayern unterwegs vor den Heimspielen aus dem Quartier „Hotel Bachmair“ am Tegernsee. Kartenspiele sorgten für Spaß. Einer langweilte sich. Ein Einzelgänger: Jürgen Klinsmann. Er intervenierte.
Prompt rückten die Bayern von der Tradition ab, siedelten in den „Limmerhof“ in Taufkirchen um. Zu lange dauere die Fahrt, moserte Klinsmann 1995 und setzte sich durch. Eine kleine Revolution.
Und nicht die einzige. In jenem Jahr schwärmte er von seinen Erfahrungen in Sachen Trainingsarbeit in Mailand, Monaco und bei Tottenham. Er berichtete von Ruhe – weil unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert wurde. Er intervenierte. Und prompt führten die Bayern das Geheimtraining an Tagen vor Spielen ein. Eine mittlere Revolution.
Nun ist er bereit für die große Revolution: Den Platzverweis für die Fans an der Säbener Straße. Eine Sperre über eine komplette Saison – mit wenigen Ausnahmen im Monat. Das Klubrestaurant Insider wird im Mai geschlossen und zu einer Spielerhöhle mit Ruheräumen. So will es Klinsmann, der Abschotter.
Er, dem es immer wichtig war, seinen Horizont zu erweitern, zäunt ab Sommer sein Team ein. Er, der als Profi die Kasernierung gehasst hatte, will den Acht-Stunden-Tag einführen. „Wir müssen uns öffnen und über die Grenzen schauen“, lautet sein Credo. Er öffnet sich – und sperrt zu.
„Veränderten Verhältnisse“
Als WM-Bundestrainer hatte Klinsmann sukzessive immer mehr Einheiten zur Privatsache erklärt, das Hotel wurde wie ein Fort bewacht. Der Erfolg und die Straßenfeste erlaubten ihm die Abschaffung des Trainingstourismus. Nun ist der FC Bayern mit seinen über 130000 Mitgliedern dran. Die Verantwortlichen versuchen, zu beschwichtigen. „Die Nähe zu den Fans und die Nähe der Fans zum FC Bayern ist eine Philosophie unseres Klubs, wie sie kaum anderswo in Deutschland und Europa so gelebt wird. Daran soll und wird sich nichts ändern“, hieß es in der Erklärung vom Donnerstag. Zwei Tage zuvor hatte der AG-Vorsitzende Karl-Heinz Rummenigge noch gesagt: „Wir müssen den veränderten Verhältnissen im Profi-Fußball Rechnung tragen.“ Der Projekt-Trainer Klinsmann als Synonym für die „veränderten Verhältnisse“.
Klinsmann, der sich als Profi das Image des „anderen Profis“ gab und sich geschickt ein Image zwischen Rucksacktourist und Käfer-Fahrer schuf. Klinsmann, der Autodidakt, arbeitet gern im Team – wenn er der Chef ist. Er glaubt daran, dass Erfolg planbar ist. Dafür tut er alles – was ihm recht ist.
Das Freiluftgehege Säbener51 mit Streichelzoo-Atmosphäre war ihm ein Graus. Tatsächlich sind die Bedingungen oft grenzwertig. Die Vorstellung, dort ab Sommer zu arbeiten, ebenso. Er liebt die Tradition in Italien und England (siehe unten).
Die Fankultur in Deutschland – mit den Stars zum Anfassen und Fotografieren – ist eine andere. Und Klinsmann sich selbst der Nächste. „Ich gehöre keinem außer mir“, charakterisierte er sich einmal. Und Rummenigge zitierte Arsenal-Trainer Wenger: „Der Trainingsplatz ist für die Mannschaft da, das Stadion für die Fans.“ Ein Trainer sollte aber auch für die Fans da sein.
Patrick Strasser