"Das wird dauern!"
MÜNCHEN Bastian Schweinsteiger musste da durch. Vorbei an Mitleid, Betroffenheit. Der gesamte Chelsea-Kader hatte seine Rasen-Party unterbrochen, ein Spalier gebildet für die Bayern-Profis, die sich auf den Weg zum traurigsten Andenken einer Fußballer-Karriere machten: zur Silbermedaille der Champions League. Schweinsteiger hielt sich die Hand vors Gesicht, ging als Letzter an den Siegern vorbei. Hier und da ein schüchterner, zaghafter Klaps, doch der 27-Jährigen nahm lediglich die flüchtige Umarmung von Frank Lampard wahr, einem seiner Vorbilder. So wie der gesamte FC Bayern sich beim Rückspiel in Madrid verkörpert hatte, im Antreiber, im Verantwortungnehmer, im Chef-Jubler – so war er nun das Abbild der Trauner und Verzweiflung. Ein Häuflein Schweinsteiger.
3:3 stand es im Elfmeterschießen, 4:4 insgesamt, als er antrat. Es hätte der Schuss zum größten Triumph seiner Karriere werden sollen, die Steigerung zum Real-Elfer. Der Elfmeter seines Lebens. Der Innenpfosten spielte nicht mit. Schweinsteiger wollte schon gar nicht mehr aufstehen, Torhüter Manuel Neuer zog ihn hoch. Und obwohl Didier Drogba noch antreten musste, war klar: das war’s. Der Motor des FC Bayern hatte sich und der Mannschaft den Stecker gezogen. Eine Zentimeter-Tragödie.
Er weinte. Zum zweiten Mal im Finale um das größte aller Ziele, um den Sehnsuchtstraum aller Bolzplatzfantasien. 2010 war Inter Mailand zu clever, die Bayern unreif. Jetzt waren sie soweit, gereift, eingezogen ins Finale dahoam. Der Spielfilm schien kitschig zu enden. Am Innenpfosten. Der Moment des Beweisens von Stärke folgt jetzt. „Wenn so ein renommierter Nationalspieler verschießt, muss er es erstmal verkraften. Das wird dauern”, sagte Trainer Heynckes und erklärte belehrend: „Aber es gehört zum Fußballerleben dazu. Das heißt Siege, große Titel und auch Enttäuschungen.” Mit schönen Grüßen an Joachim Löw. Der Nationaltrainer bekommt nun acht bayerische Patienten – akut angesteckt mit dem Vize-Virus? In Südfrankreich sollen sich Schweinsteiger, Lahm, Gomez, Müller, Kroos, Boateng, Badstuber und Neuer regenerieren vor der EM (erstes DFB-Spiel am 9. Juni). „Sie haben es bis ins Endspiel geschafft und waren dort die bessere Mannschaft. Deshalb muss man nicht an den eigenen Qualitäten zweifeln”, sagte Löw am Sonntag, „man hat an den Gesichtern gesehen, wie tief enttäuscht sie sind.” Doch wie lange dauert die Trauer-Phase? Bis in die neue Saison hinein? Wie sehr leiden die Bayern in der Post-Saison daran, dass ihre Führungsspieler wieder leer ausgegangen sind?
Sie hatten davon gesprochen, eine Goldene Generation werden zu wollen. Dieses Duo Lahm/Schweinsteiger, das dank ihrer Gegensätze und unterschiedlichen Stärken einen Stefan Effenberg darstellen sollte. Ein Sprecher und Kommunikator wie Lahm, sportlich untadelig, nahezu ohne Leistungsschwankungen, und ein emotionaler Antreiber wie Schweinsteiger – mit Höhen und Tiefen. Und in dieser Saison mit vielen unglücklichen Verletzungen, die ihn zurückwarfen.
„Ich bin gespannt, ob er das Tempo im Spiel halten kann”, hatte Ex-Kapitän Effenberg vor der Partie gesagt, „er muss intelligent und clever spielen.” Das tat er. Schweinsteiger quälte sich durch die 120 Minuten. Trotzdem stellte sich zum fünften Elfer. „Die Leader müssen zu 100 Prozent funktionieren, und zwar von der ersten bis zur letzten Minute”, hatte der Antreiber von 2001 gefordert, „irgendwann musst du da sein und die Mannschaft führen.” Was leider hängen bleiben wird, ist dieser Schuss an den Innenpfosten. So blieb Schweinsteiger der Aufstieg in die Riege Breitner, Effenberg und Kahn verwehrt. Wie viele Anläufe hat er noch?
„Wir können nicht davon ausgehen, dass wir alle zwei Jahre in ein Champions-League-Finale kommen”, meinte Lahm (28) vor der Partie, „allzu lange haben Basti und ich nicht mehr.”