Das Machtkampf-Opfer
Thomas Krafts Karriere befindet sich nach van Gaals Entlassung am Scheideweg. Sepp Maier: „Das ist unfair dem jungen Kerl gegenüber”
München - Durchlüften war angesagt am Dienstag. Frühjahrsputz für die Gedanken aller Beteiligten nach der Personalverknappung, schließlich wurde der Trainerstab des FC Bayern ja beinahe halbiert. Der neue Interimscoach Andries Jonker ordnete den freien Tag an, „damit jeder das, was passiert ist, verarbeitet und sich am Mittwoch frisch und offen auf dem Trainingsplatz präsentiert”.
Das gilt auch für Thomas Kraft, den Stammtorhüter auf Abruf. Am Montag hatte er bei der ersten vollen Trainingseinheit unter dem neuen Gespann Jonker/Gerland gefehlt. „Thomas hat Rückenprobleme, ist nicht fit”, erklärte Jonker. Doch ob der 22-Jährige auch mental die Ereignisse der letzten Tage verkraftet hat? Jonker ließ offen, ob er am Sonntag (15.30 Uhr, Liveticker bei abendzeitung.de) den Routinier Jörg Butt wieder ins Tor stellen wird – es deutet jedoch alles darauf hin.
Zwar versicherte Karl-Heinz Rummenigge, dass Jonker „exklusiv” für Training, Taktik und die Mannschaftsaufstellung zuständig sei. „Es wird ihm keiner von uns am Samstagabend die Aufstellung unter der Hoteltür hindurchschieben”, sagte der Bayern-Bayerns Vorstandschef am Montagabend im „Blickpunkt Sport”. Natürlich nicht. Aber Rummenigge sagte auch: „Jonker weiß, was funktioniert hat. Und trotzdem weiß er auch, dass Dinge verändert werden müssen”. Und Butt lobte er explizit: „Er hat eine sehr gute Hinrunde gespielt, hat in der Mannschaft ein hohes Standing, steht in der Hierarchie mit ganz oben.” Preisfrage: Wer steht wohl am Sonntag im Tor?
Harte Zeiten für Kraft – nach nur 16 Pflichtspielen (12 in der Bundesliga) droht ihm ein Karriereknick. Nun, da sein Förderer Louis van Gaal, der am Samstag entlassen wurde, nicht mehr da ist. Er ist die tragische Figur dieser Rückrunde, das Machtkampf-Opfer. Aufgerieben zwischen den Fronten van Gaal und dem Vorstand sowie Präsident Hoeneß, der am Sonntag geschimpft hatte, „mit dem Wechsel im Tor in der Winterpause von Jörg Butt zu Thomas Kraft ging die ganze Scheiße los”. Für Bayerns Torhüterlegende und Ex-Torwarttrainer Sepp Maier ein Unding. „Man kann nicht die ganze Schuld auf einen 22-Jährigen abladen”, sagte Maier der AZ, „das ist unfair dem jungen Kerl gegenüber. Thomas hat zwei Fehler gemacht, in Hannover und Nürnberg – richtig. Andererseits hätte man ohne ihn bei Inter Mailand verloren. Und noch eins: Die Mannschaft des FC Bayern müsste stark genug sein, auch mal einen Fehler ihres Torhüters auszubügeln.”
Rummenigge versuchte am Montag die Situation zu entschärfen, der Bayern-Boss sagte: „Der arme Kerl kann gar nichts dafür. Ich möchte ihn nicht ans Kreuz nageln. Den Fehler hat er gemacht, weil man ihm Tag und Nacht beigebracht hat, den Ball nicht nach vorne zu schlagen. Er hat nur das gemacht, was man von ihm verlangt hat.” Schuldig gesprochen werden also explizit van Gaal und der ebenfalls entlassene Torwart-Coach Frans Hoek. Selbst im Training sei Kraft immer wieder darauf hingewiesen worden, solche Situationen wie vor dem 1:1 in Nürnberg spielerisch zu lösen.
Krafts Zukunft ist ungewiss, sein Vertrag läuft am Saisonende aus. „Es ist schade für Thomas”, sagte Maier, der ihn zwei Jahre ab 2004 trainiert hatte, „aber er hat das Talent und die Qualität. Er wird seinen Weg machen, er wird das verkraften. Michael Rensing hat eine viel längere Durststrecke überstanden.” Der Nachfolger von Oliver Kahn war ein halbes Jahr vereinslos, bevor er im Januar beim 1. FC Köln unterschrieb.
Unterdessen dementierte Rummenigge mit Verweis auf die Fifa-Statuten eine schon fixe Übereinkunft mit dem Schalker Manuel Neuer: „Er darf ja gar nicht unterschreiben. Er hat noch einen Vertrag bis 30. Juni 2012.” Aber Rummenigge wies gerade wegen der Schickeria-Proteste („Koan Neuer!”) auf viele Fan-Briefe hin, in denen der Vorstand ermutigt worden sei, sich um „den aus Sicht der Fans besten Torwart der Welt zu bemühen”.
Na, dann.