Das Gesellenstück

Nach den Hymnen von Franz Beckenbauer & Co. steht Jürgen Klinsmann unter Druck: In seinem erst 5. Spiel als Bundesligacoach geht’s gegen Werder ums Prestige. Bayerns-Fans erwarten zum Wiesn-Auftakt ein Fest.
MÜNCHEN Wer nicht selbst rausgeht, muss lange warten. Erst am dritten, am letzten Wiesnwochenende, wird der FC Bayern dieses Jahr samt Mannschaft, Trainerstab und Vorstand aufs Oktoberfest gehen. Am 16. und letzten Tag, nach dem Samstags-Heimspiel gegen Bochum. Am ersten Wochenende wird keine Maß gestemmt in Mannschaftsstärke – damit ja keiner auf die Idee kommt, man würde den Club, den Pokal-Gegner vom kommenden Mittwoch unterschätzen.
Und privat? Dürfen die Spieler nicht einfach mal so mit der Familie raus auf die Theresienwiese? Etwa, um einen Sieg im Topspiel am Samstag (15.30 Uhr, liveticker auf abendzeitung.de) gegen Werder Bremen zu feiern? „Das sind erwachsene Leute. Da gibt es keine Vorgaben“, sagte Trainer Jürgen Klinsmann. Und er selbst? Als Wiesn-Fan ist der Schwabe nicht verschrien, der Rummel ist nicht seins. „Ich weiß nicht, ob ich so viele Baseballmützen aufziehen kann, dass ich meine Ruhe habe.“
Gegen Werder ist keine Tarnung nötig – im Gegenteil. Klinsmann muss sein wahres Vereinstrainergesicht zeigen. Nach den Partien gegen den HSV, in Dortmund, gegen Hertha und in Köln und dem Lob von Franz Beckenbauer („Er passt so gut zum FC Bayern, er bereichert die Bayern“) & Co. nach dem Champions-League-Auftakt in Bukarest wartet nun mit Werder Bremen „unser größter Konkurrent um die Meisterschaft“ (Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge). Und die fans erwarten, gerade zum Wiesn-Auftakt, ein Fest.
Für Klinsmann die bisher größte Herausforderung. Er steht vor seinem fünften Bundesligaspiel als Klubtrainer, sein Gegenüber Thomas Schaaf hat schon 312 hinter sich. Ein Sieg gegen Werder – und Klinsmann hätte sein Gesellenstück abgeliefert. „Werder Bremen ist einer der Top-Gegner in der Bundesliga. Neben Werder sind da vier, fünf, sechs Mannschaften, die auf Zeit ganz oben gestalten werden“, sagte er gestern, „wir erwarten ein sehr, sehr schwieriges Spiel.“ Gegen einen Trainer, der schon alles erlebt hat. „Er ist ein guter Typ, offen, sehr direkt“, sagte Klinsmann, „immer geradeaus, aber auch immer für einen Scherz zu haben.“ Was er Klinsmann voraus hat: Erfahrung. „Man kann von jedem Trainer etwas lernen, von Schaaf besonders viel. Er hat Weitsicht, arbeitet nicht umsonst schon so lange für Werder. Das Vertrauen in seine Arbeit dort ist hoch.“ Klinsmann steht am Anfang. „Der Trainer hat bei uns totale Ruhe“, meinte Rummenigge, „die Hektik zu Saisonbeginn war von außen hereingetragen worden.“ Vom Vorstand selbst werden nur Wünsche geäußert. „Klar, dass wir jetzt versuchen werden, möglichst schnell auch wieder die Tabellenführung zu übernehmen. Dazu wäre ein Sieg gegen Werder Bremen enorm wichtig.“ Ein Spiel, das auch auf der Trainerbank entschieden wird. Power und Leidenschaft gegen Erfahrung und Coolness. Klinsmann will Schaaf überraschen, auch deshalb hielt er sich bedeckt, ob Miroslav Klose nach seinem in Bukarest erlittenen „dicken Pferdekuss“ (Klinsmann) gegen Werder beginnen kann. „Ob es Sinn macht oder nicht, werden wir am Samstag in der Früh sehen“, meinte er Coach. Sonst wird Lukas Podolski neben Luca Toni stürmen.
„Wichtig ist mir, dass die Spieler spüren, dass sie auf dem richtigen Weg sind“, meinte Klinsmann, „sie merken jetzt, dass sich die Fitnessarbeit langsam auszahlt.
Gerade angesichts des 16-tägigen Wiesn-Marathons ist dies auch nötig.
Patrick Strasser