Das fehlende Projekt: Kostet das Vorstands-Chaos den FC Bayern den Transfersommer?

München – Eigentlich war schon alles geklärt, zwischen Alphonso Davies und dem FC Bayern. Der bisherige Sportvorstand Hasan Salihamidzic hatte sich mit Nedal Huoseh, dem Berater des Kanadiers bereits mündlich geeinigt.
Wie Kumpel Jamal Musiala sollte auch Davies einen neuen Vertrag bekommen und zu einem der Gesichter des Vereins aufsteigen.
FC Bayern so schwach wie zuletzt 2010
Nach dem 2:1 und dem damit verbundenen Meisterschaftsgewinn in Köln machte der Verein jedoch kurzen Prozess und setzte sowohl Salihamidzic als auch den Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn vor die Tür.
Rein sportlich eine nachvollziehbare Entscheidung. 71 Punkte reichten zuletzt 2010 zum Titel. 2016, während Bayerns Hochphase der Meisterserie, hätten 71 Punkte für einen souveränen dritten Platz gereicht – hinter Thomas Tuchels BVB (78 Punkte).
Guardiolas FCB beendete die Saison mit 88 Zählern. Auch spielerisch lief nicht viel zusammen. Die Mannschaft zeigte sich, mit Ausnahme der Phase kurz vor der Weltmeisterschaft, als man zehn Pflichtspiele am Stück gewinnen konnte, zu inkonstant und verursachte vor allem zu viele Elfmeter.
Deren zehn allein in der Bundesliga. Der finale wäre beinahe einer zu viel gewesen.
"Bin mir nicht sicher, was vor sich geht": Davies-Berater lässt beim FC Bayern aufhorchen
Man bekam den Eindruck, als würde der Verein kurzfristig an den beiden Entlassungen gesunden. Mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge kam sofort Ruhe und Erfahrung in den Klub – für gut zwei Tage.
Im Interview mit der "Bild" sprach Nedal Huoseh eine große Befürchtung offen an: "Ich bin mir nicht sicher, was vor sich geht und mit wem wir sprechen werden. Es scheint zu viel Instabilität und Unsicherheit hinsichtlich der Richtung des Vereins zu geben." Die Gespräche wurden bis 2024 auf Eis gelegt. Huoseh will "abwarten, wie sich die Dinge mit dem Verein entwickeln, bevor wir zu einem neuen Vertrag übergehen."

Momentan führt eine Task Force aus Hoeneß, Rummenigge, dem neuen CEO Jan-Christian Dreesen, Finanzvorstand Dr. Michael Diederich und Thomas Tuchel den Verein in Sachen Transfers, bis ein neuer Sportdirektor/-vorstand gefunden ist. Rummenigge kündigte auf der SpoBis bereits an, sich danach wieder zurückziehen zu wollen.
Salihamidzic und Neppe hatten das Projekt, das dem FC Bayern nun fehlt
Allein, das Große und Ganze, das Projekt, fehlt. Salihamidzic und der technische Direktor Marco Neppe waren nicht fehlerfrei.
Zusammen mit Julian Nagelsmann gelang es ihnen jedoch, binnen weniger Wochen Sadio Mané, Matthijs de Ligt, Noussair Mazraoui, Ryan Gravenberch sowie Mathys Tel von einem Wechsel an die Säbener Straße zu überzeugen und dabei auch namhafte – und wesentlich zahlungskräftigere – Konkurrenten auszustechen. Auch die Verletzungen von Lucas Hernández und Manuel Neuer konnte man zeitnah mit Daley Blind und Yann Sommer auffangen.

Das könnte nun anders aussehen. Hernández, der fließend deutsch spricht und sich bisher voll mit dem Verein identifizierte, zieht es urplötzlich zu Paris Saint-Germain. Auch Benjamin Pavard will gehen. Die Baustelle Innenverteidigung kommt zusätzlich zur Suche nach einem neuen Stürmer und dem Poker um West Hams Declan Rice.
Arsenal gilt als großer Konkurrent Sky-Premier-League-Kommentator Joachim Hebel sieht bei den Gunners einen großen Vorteil: "Bei Arsenal ist alles gesetzt: Es ist klar, wer Trainer ist. Es ist klar, wer dort das Board ist. Es ist klar, wo sie hinwollen. Der nächste Schritt soll die Meisterschaft sein. Der nächste Schritt soll sein, wieder konsequent in der Champions League vertreten zu sein."
FC Bayern: Warum Hoeneß und Rummenigge ihren Kurs kurzfristig weiterfahren können
Salihamidzic und Neppe reformierten den Verein vor allem in der Jugend grundlegend. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wurden Ü30-Spieler wie Xabi Alonso, Arturo Vidal oder Mats Hummels verkauft, um Platz für die neue Generation zu machen: einem Joshua Kimmich im Mittelfeld, einem Kingsley Coman auf dem Flügel, David Alaba als Abwehrchef und Alphonso Davies hinten links.
Dieselbe Prozedur gab es auch 2021 für Alaba selbst, Jérôme Boateng und Javi Martínez. Dadurch wurden Dayot Upamecano, Benjamin Pavard, Matthijs de Ligt, oder weiter vorne, Jamal Musiala, zu Stammspielern.

In dieser Hinsicht verpassten Salihamidzic und Neppe dem Verein eine klare Handschrift, entgegengesetzt zu Hoeneß und Rummenigge, die in ihren letzten Jahren eher den Status Quo verwalteten. Das können sie kurzfristig tun, weil ihnen Salihamidzic einen Kader hinterlässt, der über eine nahezu perfekte Altersstruktur verfügt.
Sämtliche Leistungsträger sind zwischen 25 und 28 Jahren alt, Davies ist 22, Musiala 20 und Tel 18. Kaum ein Spieler muss kurzfristig ersetzt werden, weil er aus Altersgründen nicht mehr an sein Level kommt oder zu oft verletzt ist.
Technischer Direktor? Kaderplaner? Wie geht es für Marco Neppe beim FC Bayern weiter?
Anders als Salihamidzic ist Neppe selbst noch im Verein und arbeitet an der Kaderplanung für die kommende Saison mit. Wie es für ihn weitergeht, ist allerdings noch nicht bekannt.
Offiziell abgeben will ihn der FC Bayern nicht, weil ansonsten auch der letzte Gesprächs- und Ansprechpartner der Salihamidzic-Ära wegfallen würde. Eine klare Rolle im neuen Transferteam fehlt Neppe allerdings.
Während die Spieler im Urlaub weilen, geht es an der Säbener Straße hektisch und chaotisch zu. Spielernamen werden gehandelt, Ab-, wie Zugänge.
Bevor man allerdings irgendetwas offiziell macht, sollte sich der Rekordmeister im Klaren sein, welchen Plan man langfristig verfolgt und wer ihn umsetzen soll.