Christian Ziege über Ergebnis des FC Bayern: Das 0:0 ist mega-gefährlich
Christian Ziege, einst beim FC Bayern und in Liverpool aktiv, spricht über das Königsklassen-Duell und lobt Javi Martínez: "Er muss spielen".
Der 47-Jährige Christian Ziege spielte von 1990 bis 1997 für den FC Bayern und von 2000 bis 2001 für den FC Liverpool. Der Trainer arbeitete zuletzt beim thailändischen Klub Ratchaburi Mitr Phol. Mit der AZ spricht er über das Spiel FC Bayern gegen Liverpool.

AZ: Herr Ziege, Sie haben für beide Vereine gespielt, kennen das Umfeld, die Fans, die Erwartungen. Für wen ist das 0:0 des Achtelfinal-Hinspiels das bessere Ergebnis? Für den FC Bayern oder den FC Liverpool?
Christian Ziege: Für Liverpool, definitiv. Die Engländer können das Rückspiel etwas relaxter angehen als die Bayern. Na klar könnten beide auf ein null zu null gehen, was ich aber nicht denke, vor allen Dingen, weil Bayern zu Hause spielt, und somit kann sich Liverpool auf sein Umschaltspiel konzentrieren. Aus ihrer Sicht ist es doch so: "Selbst, wenn wir ein Tor bekommen, ändert das unsere Ausgangssituation kaum. Mit einem 1:1 wären wir weiter." Für Bayern ist das 0:0 kein gutes Ergebnis, weil trügerisch und mega-gefährlich. Denn wenn die Reds treffen, muss Bayern immer ein Tor mehr erzielen, um weiterzukommen.
"Wenn der FC Bayern etwas reißen will, muss Martínez spielen"
Dabei wurde Bayern-Trainer Niko Kovac für seine Defensiv-Taktik in Liverpool so gelobt.
Zu Recht. Hat er richtig gemacht, denn wenn du an der Anfield Road zu offensiv auftrittst, kann dir das Spiel bei der Umschaltpower von Liverpool schnell um die Ohren fliegen. Der Schlüssel für verbesserte Defensiv-Leistungen war die Hereinnahme von Javi Martínez als Sechser – ein riesiger Fortschritt. Überhaupt finde ich, dass Martínez einer der besten Bayern-Transfers der letzten zehn Jahre ist. Wenn Bayern in der Champions League etwas reißen will, muss Martínez spielen.
Bei Liverpool kehrt mit Virgil van Dijk ein ganz wichtiger Spieler nach Gelbsperre zurück.
Van Dijk ist eine Klasse für sich, bei Standards als Kopfballungeheuer immer brandgefährlich. Er ist der Kopf der Mannschaft, der Leader auf dem Platz. Die Ruhe und Gelassenheit, mit der er verteidigt, ist sehr besonders. Ein großer Pluspunkt gegenüber dem Hinspiel.
FC Bayern: Die Vertragslaufzeiten der Spieler
"Liverpool agiert in der Offensive momentan nicht so toll"
Was spricht für Bayern, was für Liverpool?
Ich würde mich Freude, wenn Bayern weiterkommt, aber sie haben immer noch kleinere Probleme in der Abwehr, was auch in Mönchengladbach zu sehen war. Für sie spricht der Faktor Martínez und die dadurch gewonnene Stabilität. Er hält die Position, sucht die Zweikämpfe, weiß auch, wann er mal foulen muss. Dazu ist er eine Waffe als Kopfballspieler bei eigenen Standards. Liverpool agiert in der Offensive momentan nicht so toll, in drei der letzten fünf Partien haben sie kein Tor erzielt. Dafür sind sie in der Abwehr bärenstark. Aber: Nach zuletzt fünf Spielen ohne Gegentreffer gab’s am Sonntag ein 4:2 gegen Burnley.
Bayerns Rechtsverteidiger Joshua Kimmich ist nach seiner dritten Gelben Karte im Wettbewerb gesperrt. Eine zu große Schwächung?
Ich finde nicht. Erstens ist Kimmich in meinen Augen auf der rechten Abwehrseite verschenkt, er gehört mit seiner Spielstärke und Übersicht ins zentrale Mittelfeld. Nun muss Rafinha ran. Er hat vor der Partie in Gladbach vier Wochen nicht gespielt, kommt rein und macht es auch als Linksverteidiger richtig gut. Auf Rafinha kannst du dich stets verlassen. Wenn er mal drankommt, agiert er nach hinten immer solide, nach vorne macht er allerdings nichts Außergewöhnliches.
Aber es geht darum, dass er damit zufrieden ist, nicht so häufig zu spielen. Okay, kürzlich hat er sich mal beschwert über Kovac. Das hätte er nicht öffentlich machen sollen, rein inhaltlich habe ich es verstanden. Er wusste, dass er gegen Liverpool Kimmich ersetzen soll, also hat es aus seiner Sicht Sinn gemacht, darauf hinzuweisen, dass er nun Spielpraxis braucht.
"Ich würde Rafinha nicht gehen lassen"
Sein Vertrag läuft aus.
Ich würde ihn nicht gehen lassen, auch wenn er schon 33 Jahre alt ist. Einen wie Rafinha, zufrieden mit weniger Einsatzzeiten, findest du in 100 Jahren nicht.
Die Bayern verstärken sich für die kommende Saison mit den Außenverteidigern Benjamin Pavard und Lucas Hernández. Dann wäre Rafinha hinter Kimmich und David Alaba nur die Nummer fünf.
Klar, das könnte man ihm nicht vermitteln.
Somit sind wir bei Bundestrainer Joachim Löw und den drei aussortierten Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller.
Grundsätzlich: Der Bundestrainer muss solche Entscheidungen treffen. Jüngere Spieler kommen nach, das ist der Lauf der Dinge. Aber: Den Zeitpunkt, eine Woche vor dem Liverpool-Spiel, finde ich merkwürdig, denn das beschäftigt die Spieler. In deinem Umfeld spricht dich jeder drauf an, du kannst das Thema nicht auf die Seite schieben. Und Löw hat ja nicht einen, sondern gleich drei Spieler von Bayern eliminiert – auf einen Schlag. Ein mutiger Schritt. Löw muss diese Entscheidung verantworten.
"Thailand ist ein besonderes Land mit besonderen Menschen"
Im November war das letzte Länderspiel, darüber ist auch Bayern irritiert.
Eben. Man hätte das anders lösen können, die Spieler "mitnehmen", ihnen erklären, dass ein Umbruch ansteht, sie aber nicht mehr erste Wahl sind. Wer das nicht akzeptiert, hätte von sich aus Schluss gemacht. Wenn die Spieler die Wahl gehabt hätten, den Umbruch mitzugestalten, wäre jeder als Gewinner herausgegangen.
Sie sind aktuell vereinslos. Ihr Engagement beim thailändischen Klub Ratchaburi Mitr Phol endete 2018 nach nur 45 Tagen. Was war passiert?
Eigentlich bot der Verein beste Voraussetzungen, gute Trainingsplätze, super Fitnessräume. Die Liga, vom Niveau her vergleichbar mit der zweiten Liga bis runter in die Regionalliga, ist gut organisiert, die meisten Vereine werden von millionenschweren Monarchen gelenkt. Mein Klub war für den Sohn der Präsidentin sein Baby, er hat alle Ein- und Verkäufe getätigt so wie er es für richtig hielt, ohne Absprachen, er wollte entscheiden, wer ein- und/oder ausgewechselt wird und entscheiden, was und wann trainiert werden soll. Da hat es dann einfach gereicht und wir haben uns getrennt. Trotzdem: ein besonderes Land mit besonderen Menschen. Nach meinem Abschied war ich mit meiner Frau noch eine Woche in Bangkok. Ein Freund hat uns die Stadt gezeigt, alles hochspannend.
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