Christian Ziege: Der Schachzug mit Alaba und Davies war genial
München - Christian Ziege spielte von 1990 bis ‘97 für den FC Bayern, danach unter anderem für Borussia Mönchengladbach und den FC Liverpool.Heute trainiert er den österreichischen Drittligisten FC Pinzgau-Saalfelden.
AZ: Herr Ziege, lassen sich Corona-Einschränkungen in den Bergen Österreichs eigentlich leichter ertragen?
Christian Ziege: Im Vergleich zur Großstadt können wir hier natürlich mehr rausgehen, Fahrradfahren und in die Berge gehen. Gott sei Dank war das Wetter noch dazu die längste Zeit recht schön.
Fast genau ein Jahr arbeiten Sie jetzt in Österreich – beim Drittligisten FC Pinzgau-Saalfelden. Wie kam es dazu?
Eher überraschend. Meine Frau und ich haben 2018 beschlossen, in die Berge zu ziehen, weil wir das schon lange überlegt hatten. Und mein Sohn spielte bereits in Saalfelden, ich war also schon vorher bei jedem Spiel dabei. Und weil sie im vergangenen Jahr kurzfristig einen Trainer brauchten, bin ich eingesprungen. Daraus wurde dann eben mehr.
Amerikaner wollen Drittligist Saalfelden in die Bundesliga führen
Dazu muss gesagt werden, dass Saalfelden kein gewöhnlicher Amateur-Klub ist.
Das kam dazu. Schon vor meiner Zeit gab es Gespräche mit amerikanischen Geschäftsleuten, die die Vision hatten, den Klub aus der Dritten Liga in die Bundesliga zu führen. Die Amerikaner haben auch mir ihre Pläne erläutert. Sie nehmen das sehr ernst, sind sogar nach Österreich gezogen.
Sehen Sie selbst langfristiges Potenzial in Saalfelden?
Ich finde, es ist ein spannendes Projekt, den Klub langsam an den Profi-Fußball heranzuführen. Wir hatten jetzt eine Kooperation mit dem US-Klub Real Salt Lake City und konnten Spieler ausleihen, die uns auch geholfen haben. Gleichzeitig konnten wir in den USA ein wenig Werbung für uns machen. Es geht darum, dass Amerikaner über Aktienkäufe Mitbesitzer eines europäischen Fußballklubs werden können. Es scheint auch schon einige zu interessieren, weil es ein Stück weit einzigartig ist.
Mit erfolgreicher Arbeit könnten Sie auch für sich werben. Wollen Sie wieder zurück nach Deutschland?
Möglich ist alles. Mir ist nur wichtig, dass ich auf dem Platz arbeite. Aber das Angebot an Trainern ist in den vergangenen Jahren unglaublich gestiegen und es ist schwieriger, einen Job zu bekommen. Insofern bin ich happy, hier zu sein. Wichtig ist, dass man Vertrauen spürt. Denn jeder weiß ja, wie es läuft: Ein Trainer ist mit der Vertragsunterschrift quasi schon wieder rausgeschmissen, wenn es kein ruhiges Umfeld gibt.
Ziege über Posten als Sportdirektor: "Ich habe den Rasen vermisst"
Womöglich wären Sie noch in der Bundesliga, hätten Sie damals in Gladbach nicht den Posten als Sportdirektor aufgegeben. Bereuen Sie ihren Rückzug heute?
Eigentlich hatte ich 2006 in Gladbach als Trainer der U17 angefangen. Ich hatte dort meinen A-Schein gemacht und wollte auch die Fußballlehrer-Lizenz machen. Es hört sich jetzt bescheuert an, aber irgendwie kam dieser Sportdirektor-Posten dazwischen. Nicht falsch verstehen, es war eine Riesen-Ehre, dass man mich damals gefragt hatte, aber es war nicht in meiner Planung vorgesehen. Dennoch haben wir damals nach dem Abstieg die Mannschaft komplett neu aufgestellt und die Zweite Liga souverän für uns entschieden. Und es hat auch Spaß gemacht.
Aber?
Ich habe gemerkt, dass der Job am Schreibtisch einfach noch nichts für mich ist, ich habe den Rasen vermisst. Für mich stand mit dem Aufstieg damals schon fest, dass ich den Posten wieder abgebe. Mit Max Eberl stand auch ein guter Nachfolger bereit, der sicher schon damals nicht glücklich war, als ich den Posten bekommen habe. Schließlich hatte er ja schon im Nachwuchsbereich super Arbeit geleistet. Bereue ich also die Entscheidung von damals? Nein, denn man muss das machen, wovon man überzeugt ist. Ich scheue mich aber nicht zu sagen, dass ein kleiner Anteil daran, wo Borussia Mönchengladbach heute steht, auch unserer Arbeit von damals zufällt. Das Fundament wurde damals gelegt.

Ihr Nachfolger Max Eberl wurde schon mit Bayern in Verbindung gebracht. Würde das passen?
Über Max’ Qualitäten muss man nicht mehr groß diskutieren. Er hat gezeigt, dass er in seinem Job hervorragend ist. Das habe ich auch schon gesehen, als wir zusammengearbeitet haben. Von daher glaube ich, dass er das auch bei Bayern München könnte. Nur ticken dort halt die Uhren ein wenig anders. Da gibt es viele Leute im Verein, die mitreden. Wichtig ist eben immer, wie viel Vertrauen dir an deinem Arbeitsplatz entgegengebracht wird. Und ich denke, dass Max da, wo er jetzt ist, schon gut aufgehoben ist.
Für Sie begann nach Gladbach dagegen eine wechselhafte Trainer-Laufbahn. Nach Bielefeld, Unterhaching und Mallorca ging es auch nach Thailand. Nicht der beste Ort für einen Trainer, oder?
Ach, ich bin keiner, der da jetzt noch groß nachtreten will. Die Voraussetzungen dort waren einfach ein Stück weit anders, als man es gewohnt ist. Die ersten Gespräche liefen noch super. Der Klubbesitzer wollte die Mannschaft vom 4-4-2 hin zur Dreierkette umstellen, und ich habe das schon zweimal gemacht: in Unterhaching und bei Atletico Baleares. Da ist er auf mich zugekommen – und für mich war das einfach mal eine tolle Erfahrung, die ich machen wollte. Aber letztlich traf der Besitzer dann zu viele Entscheidungen selbst, da habe ich gesagt, dass das so keinen Sinn macht.
Alaba innen, Davies außen: "Wäre ich Trainer, die beiden wären gesetzt"
Kommen wir zum FC Bayern, wo Sie sieben Jahre lang auf der linken Seite in Abwehr und Mittelfeld spielten. Was denken Sie über Ihre Nachfolger? Sollte David Alaba wieder den Außenverteidiger geben?
Nein.
Kurz und schmerzlos.
Der FC Bayern hat da aus der Not eine Tugend gemacht. Sie hatten Probleme in der Innenverteidigung bekommen und David dort hinverschoben. Ich finde, er spielt dort so gut wie schon lange nicht mehr. Und ich persönlich bevorzuge auch immer einen Linksfuß wie ihn auf der linken Innenposition. Er ist schnell, clever und zweikampfstark. Er macht das mega. Und es kommt ja noch etwas dazu.

Nämlich?
Alphonso Davies spielt ja auch enorm stark auf der Außenposition. Klar muss er im Defensivverhalten noch ein wenig dazulernen. Aber das hat man mir auch gefühlt 100 Jahre gesagt und es hat trotzdem irgendwie funktioniert.
Sie hatten auch offensiv Ihre Stärken.
Das hat Davies auch. Und er kann seine Fehler nach hinten sehr gut ausbügeln, weil er einfach so unglaublich schnell ist. Von daher tut es mir leid für die anderen. Aber wäre ich Trainer, die beiden wären gesetzt.
Internationalen Erfolg mit Flick? Ziege hat Hoffnung
Und wie sieht es davor aus? Was halten Sie von Kingsley Coman?
Es ist schon ein wenig tragisch, dass er so ein Verletzungspech hat. Er hatte eine super Entwicklung gemacht und viel dazugelernt. Aber es stehen halt immer wieder Verletzungen im Weg. Das kostet viel Kraft, sich immer wieder zurückzukämpfen. Und man merkt ihm auch an, dass es an seinem Selbstverständnis nagt. Wenn Hansi Flick einen gleichwertigen Ersatz für ihn hätte, könnte das nicht schaden.

Glauben Sie, dass der FC Bayern mit Flick auch in Europa wieder oben angreifen kann?
Das ist immer schwer vorherzusagen, aber es macht wieder Spaß, den Bayern zuzuschauen, sie spielen kreativ, erfolgreich, haben auch ihre Balance wieder gefunden zwischen Defensive und Offensive. Wie gesagt: Der Schachzug mit Alaba und Davies war genial. Dazu hat Bayern im Mittelfeld einen Joshua Kimmich, der enorm wichtig ist. Ich kenne ihn selbst von meiner Jugendarbeit beim DFB und fand ihn dort schon immer im zentralen Mittelfeld am besten, weil er richtig giftig und enorm clever ist. Auch Thiago hat sich unter Flick wieder stark verbessert und wird hoffentlich verlängern, weil er ein absolut geiler Kicker ist. Es sind viele Dinge in kurzer Zeit sehr richtig gemacht worden. Das lässt in Zukunft auch international wieder hoffen.
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