Breitner: "Ein großer Traum, fast unerreichbar"

Mit Deutschland siegte Paul Breitner 1972 gegen England in Wembley. Hier erinnert er sich an das beste Länderspiel, das er selbst erlebt hat.
von  Interview: Thomas Becker
Breitner erinnert sich: Ein historischer Sieg: Hoeneß (r.) jubelt im DFB-Trikot – die Engländer (l.) trauern.
Breitner erinnert sich: Ein historischer Sieg: Hoeneß (r.) jubelt im DFB-Trikot – die Engländer (l.) trauern. © imago/dpa

AZ: Herr Breitner, das legendäre 3:1 gegen England im Viertelfinale der EM 1972 gilt bis heute als eines der besten Spiele der deutschen Nationalmannschaft. War das Ihre erste Partie in Wembley?

PAUL BREITNER: Ja. Es gab ja vorher keine Möglichkeit, mit dem FC Bayern dort zu spielen, weil in Wembley ja nur Länderspiele oder irgendwelche Pokalendspiele ausgetragen wurden.

Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Stadion?

Wembley war für jeden Fußballer einer der ganz großen Träume. Für mich als Kind und Jugendlicher war es etwas fast Unerreichbares, ein Nimbus wie Maracana in Rio und Bernabeu in Madrid. Diese drei Stadien standen über allem. Einmal dort zu spielen war für mich als Jugendlicher ein ganz unrealistischer Traum. Umso größer war dann die Freude und der Genuss, dort mal einlaufen zu können. Und – im Nachhinein betrachtet – auch noch bei einem fußballhistorischen Spiel mitgemacht zu haben.

War es das beste Länderspiel, das Sie selbst erlebt haben?

Ja. Das beste Länderspiel, das ich als Aktiver und auch als Passiver von einer deutschen Mannschaft erlebt habe, weil es für mich immer nur eine Vergleichsmöglichkeit von früher und heute gibt. Und diese Vergleichsmöglichkeit für mich ist, inwieweit irgendeine Mannschaft im Vergleich zu allen anderen über denen steht. Es werden ja immer Vergleiche mit heute, gestern und morgen gezogen, aber ich weigere mich zu vergleichen. Diese 72er-Nationalmannschaft, die dann ja auch Europameister wurde, war die einzige deutsche Mannschaft, die um Längen alle beherrscht hat, die so weit über allen anderen stand wie keine andere deutsche Mannschaft danach.

Wie betritt man so ein Stadion? Ehrfürchtig?

Nein, nein. Ich hatte nie Ehrfurcht vor irgendjemandem oder irgendetwas. Aber Respekt, gepaart mit Vorfreude darauf, mich zu messen: Wozu reicht es? Wie gut bist du wirklich? Und das kann man nur in einigen wenigen Spielen herausfinden, nämlich gegen einen vermeintlich gleich Guten oder Besseren. Dann siehst du: Moment mal, ich bin ja um Längen besser!

Das WM-Finale von 1966 war zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht so lange her. Wie hatten Sie dieses 2:4 in Wembley erlebt?

Da war ich 15 Jahre alt. Ich zähle auch nicht zu denen, die irgendwelche Spielszenen oder Tore abgespeichert haben, weil es für mich auch immer nur um bestimmte Momente geht, nicht um irgendeinen Zustand. So war eine der wenigen Erinnerungen, die ich an das WM-Finale 1974 habe, der Abpfiff. Die ersten zehn, 15 Sekunden der Explosion, und dann ist bei mir vieles weg. Deswegen lebt 1972 in Wembley für uns alle aus der Geschichte und daraus, was aus diesem Spiel gemacht wurde. Da gibt es auch nichts zu verklären. Fakt ist: Es war das beste Spiel, etwas Einmaliges und eine wunderbare Sache, dabei gewesen zu sein.

Können Sie sich noch an die Stimmung im Stadion erinnern, als das deutsche Team die Gastgeber so auseinander nahm?

Das war keine einmalige Situation. Wir hatten das schon in Manchester und Liverpool erlebt: diese Stimmung in englischen Stadien. Da kam es gar nicht so darauf an, ob die Stimmung von 50000 oder von 90000 Fans kam. Daran gewöhnt man sich relativ schnell. Das Besondere war, dass die Engländer nie, in keiner Phase, ihre Mannschaft ausgepfiffen oder gebuht hätten, nur weil der Gegner die eigene Mannschaft regelrecht zerlegt. Da war Respekt da, Beifall und – obwohl, oder gerade weil wir Deutsche waren – sehr viel Hochachtung und die Anerkennung unserer überragenden Leistung. Und so war das, solange ich gespielt habe, auf der Insel immer.

War das Ihr einziges Spiel in Wembley?

Ich habe nur einmal dort gespielt, und das ist gut so. Dieses Spiel hätte kein anderes übertreffen können, vielleicht nur konterkarieren. Somit ist dieses Spiel das einzige für mich und in jeder Hinsicht ein einmaliges.

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