Betriebsunfall? Systemfehler!
MÖNCHENGLADBACH - „Fahrlässig! Unnötig!“ Bereits zum dritten Mal in dieser Saison verspielen die arroganten Bayern beim 2:2 in Gladbach einen Zwei-Tore-Vorsprung.
Der kleine Herr Neuville war dann doch recht eingeschüchtert, als er aus der Kabine der Bayern kam. Dabei wollte der verletzte Gladbacher Stürmer, nur mal „Hallo“ sagen. „Da war nicht so gute Stimmung, da drinnen“, meldete der Stürmer und senkte den Kopf. Vielleicht hätten die Bayern ein Schild an der Kabinentür anbringen sollen: „Betriebsunfall! Betreten auf eigene Gefahr!“ Denn als „Betriebsunfall“ bezeichnete Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge das 2:2 in Mönchengladbach.
Der Unfallhergang ist schnell erzählt: Luca Toni (21.) und Franck Ribéry per Foulelfmeter (65.) schießen ein 2:0 heraus, Gladbach liegt im Wachkoma. „Total unnötig und fahrlässig“ (Trainer Jürgen Klinsmann) fällt Rob Friends Anschlusstor (78.). Torwart Michael Rensing ergänzt: „Wir haben sie selbst wieder ins Leben zurückgeholt.“ Die Bayern nach dem 2:1 in Schockstarre. Und Gladbach war hellwach und aggressiv. Nach Michael Bradleys Ausgleich (81.) sind die spät übertölpelten Bayern plötzlich die Dummen.
Ein Unfall? Alles nur Zufall? Kurzzeitige Betriebsstörung im ansonsten reibungslosen Regelbetrieb? Das heiß ersehnte Gipfelglück ist nach dem Aussetzer in Gladbach wieder in Ferne gerückt. Daran sind die folgenschweren Last-Minute-Pannen gegen den HSV (2:2) und Bochum (3:3) Schuld, in denen im selben Stil der Sieg verschenkt wurde. „Mit diesen Punkten mehr wären wir jetzt Tabellenführer“, rechnete Klinsmann vor. Doch nicht allein ein paar Punkte fehlen. Zu oft bricht das Bayern-System zusammen, zu oft fahren die Stars zu früh runter. Die Probleme:
Die Hierarchie
Ein Kapitän, der Klartext sprach, war Mark van Bommel. Doch nach der Beförderung folgte die Demontage. Nach kurzem Bankdrücker-Dasein ist er nun wieder im Team, doch seine Antreiber-Qualitäten lassen zu wünschen übrig. Auch seine Aussagen wirken verhalten. „Es waren unsere besten 80 Minuten dieses Jahr“, sagte der Holländer nun. Dabei hätten die Bayern zuvor einen Wachrüttler dringend gebraucht. Einen, der zusammenstaucht, aufrichtet und mitreißt. Rummenigge: „Wenn man auf diese Art und Weise eine Führung hergibt, hat das mit der Einstellung der Spieler zu tun.“
Die Wechsel
Nicht zum ersten Mal verwunderte Klinsmann mit seiner Ein- und Auswechselpolitik Freund wie Feind. In Gladbach nahm er beim Stand von 2:0 Bastian Schweinsteiger und – den noch nicht völlig fitten – Philipp Lahm raus, brachte Tim Borowski und José Sosa. Hat Klinsmann den Sieg ausgewechselt? „Die Wechsel hatten rein gar nichts mit den Gegentoren zu tun", verteidigte der Cheftrainer seine Personalentscheidungen. Sein Boss Rummenigge jedoch meinte vielsagend: „Ob ich die Wechsel nachvollziehe? Das ist nicht meine Aufgabe.“
Die Taktik
Dass Klinsmanns Taktiktafeln bisweilen Verwirrung stiften, zeigte sich schon auf Schalke, als er Oddo und Borowski nach dem 2:1 zu sich beorderte und ihnen ihre Aufgaben neu erklären musste. Zwar behauptet der Coach, dass sein Team mehrere Spielvarianten beherrsche, doch in der Defensive herrschte auch in Gladbach wieder einmal Konfusion. Der Fehler steckt offenbar im System. Rummenigge jedoch sagte: „Herbstmeister wollen wir trotzdem werden.“ Dafür müssten sie dann aber wenigstens unfallfrei kicken.
Reinhard Keck