Beten und Treten: Ribéry sieht „Rot“
MÜNCHEN - Vor der Partie schickt Franck Ribéry ein Stoßgebet gen Himmel, dann tritt er Lopez um und sieht Rot. Zu Recht? Van Gaal findet’s okay, Hoeneß nicht – und Beckenbauer hofft auf Milde bei der Uefa
Allah ist allverzeihend und barmherzig. So steht es im Koran, in Sure 4:129. Und so stand Franck Ribéry, gläubiger Muslim und staatsanwaltlich befragter Zeuge im Sexskandal, auch gestern wieder in der Allianz Arena am Mittelkreis, hob die Hände und richtete ein Stoßgebet gen Himmel. Was auch immer er gemurmelt hat, seine Wünsche wurden wohl nicht erhört. Der 27-Jährige wirbelte beim 1:0 gegen Lyon nur 37 Minuten. Dann verlor er die Nerven, dann trat er zu.
Schiedsrichter Roberto Rosetti zeigte dem Franzosen die Rote Karte – und sorgte für die Debatte des Abends: War der Platzverweis berechtigt? Ribéry hatte bei seinem Foul im Mittelfeld Lyons Stürmerstar Lisandro Lopez voll am Sprunggelenk erwischt. In der Zeitlupe sah es aus, als stünde der Bayern-Star mit seinen lila Tretern sekundenlang auf dem abgeknickten Knöchel des Argentiniers.
Stefan Effenberg, einst selbst Freund der härteren Gangart, fand Rot für Ribéry in Ordnung. „Hart aber vertretbar“, sagte er bei „Sky“: „Ribéry steht brutal lange drauf.“ Ähnlich urteilte Trainer Louis van Gaal: „Das war eine sehr leichte Rote Karte, aber man kann sie geben.“
Wie entscheidet jetzt die Uefa?
Etwas anders sah’s Franz Beckenbauer. Der war zunächst auf der Ehrentribüne aufgesprungen und hatte genickt. Gesagt aber hat er: „Ich weiß nicht, ob ich Rot gegeben hätte.“ Danach jedoch sah er das Foul erneut – und meinte: „Es ist schon ein brutales Foul, ein hartes Foul, um es vorsichtig auszudrücken. Da hätte sich der Gegenspieler auch verletzen können. Das war am Rande, das war Dunkelgelb.“
Bastian Schweinsteiger verteidigte seinen Kollegen: „Franck ist kein Spieler, der so etwas absichtlich macht. Er kam eine Sekunde zu spät“, sagte er. Und: „Da fehlt das Fingerspitzengefühl.“ Auch für Sportdirektor Christian Nerlinger, der Sünder Ribéry nach dem Feldverweis tröstend in Richtung Kabine eskortiert hatte, war Rot zu hart. „Da wäre die Gelbe Karte angebracht gewesen.“ Präsident Uli Hoeneß hatte wieder einmal die klarste Meinung: „Das war ein Foul von vorne, da kann man nicht Rot geben! Gelb vielleicht, niemals Rot!“
Beim Tweet-Poll, einer Online-Blitzumfrage bei twitter.com/abendzeitung, waren jedoch 31 Prozent der Meinung, die Rote Karte sei berechtigt, Ribéry habe sich nicht im Griff. Weitere 34 Prozent meinten, man hätte Rot geben können, nicht müssen. Dass der Platzverweis eine Fehlentscheidung gewesen sei, fanden nur 28 Prozent.
Spannend wird nun, wie die Uefa verfährt. Dass Ribéry gesperrt wird und im Rückspiel fehlt, ist klar. Und im Finale? Nerlinger geht davon aus: „Das schmerzt, wenn ich daran denke, dass wir die nächsten Partien ohne ihn spielen.“
Vor allem Beckenbauer glaubt jedoch ans Endspiel mit Ribéry: „Ich hoffe, dass die Uefa gnädig ist und das nicht als Tätlichkeit wertet und es bei Foul belässt. Das wäre ein Spiel Sperre. Da wäre er gesegnet.“ Der Gläubige.
Erst beten, dann treten. Abwarten, bei wem der Franzose am ehesten auf Milde hoffen darf: Bei Gattin Wahiba? Sie saß neben ihm im Auto, als er die Arena verließ, während die Kollegen drinnen noch Interviews gaben. Oder das Sportgericht der Uefa? Allah ist ja allverzeihend und barmherzig.
Jochen Schlosser