"Bei einer Entlassung wären sie nicht mehr glaubwürdig"
Bayerns Ex-Kapitän Effenberg vor dem Sonntagsspiel bei Werder Bremen über Trainer Klinsmann, die Bosse und die Unruhe im Team
AZ:Herr Effenberg, ein 5:0 ist nicht immer ein 5:0. Jedes Spiel hat seine Geschichte – und seine Vorgeschichte.
STEFAN EFFENBERG: Moment, schauen wir erst einmal nur das Ergebnis an: Ein 5:0 auswärts im Achtelfinale der Champions League ist ein Paukenschlag - auch wenn Sporting Lissabon nicht die Übermannschaft ist. Dennoch: Das war ein Signal an Europa. Da kann im Viertelfinale kommen, wer mag - die Bayern sind ein Gegner, den man ernst nehmen muss.
Bei aller Wertschätzung des Bayern-Auftritts: Das Los Lissabon und deren Leistung war doch ein Geschenk, oder?
Nach dem 2:0 haben sich die Bayern frei gespielt, das war ein Selbstläufer. Ganz allgemein aber traue ich der Gesamtsituation noch nicht, sie ist immer noch unangenehm. Es stimmt ja: In der Bundesliga laufen die Dinge anders.
Eben. Und nicht gerade gut. Drei Niederlagen in vier Rückrundenspielen - und am Sonntag wartet Werder Bremen.
Richtig. Und das 2:5 aus der Hinrunde haben die Bayern noch nicht vergessen, das nagt immer noch. Wenn man auf die Tabelle schaut, gibt es am Sonntag nur eins: Bayern muss gewinnen, damit da oben in der Tabelle keiner wegzieht. Vier Punkte Abstand auf den HSV ist schon recht viel. Außerdem haben die Bremer am Donnerstagabend mit dem 2:2 beim AC Mailand gezeigt, dass man sie auf gar keinen Fall unterschätzen darf. Außerdem möchte die Bayern jeder schlagen.
Es brodelt im Bayern-Kader. Reservisten wie van Buyten sind unzufrieden und motzen, weil sie nicht oder kaum drankommen, andere wie van Bommel, Lahm oder Klose beklagten sich öffentlich über die zu offensive, zu riskante Taktik.
Zu den Ersatzspielern. Ich erwartet doch van einem van Buyten, dass er sich mit seinem Konkurrenten Demichelis misst und ins Team will. Aber gerade in dieser Phase ist Ruhe das allerwichtigste für den FC Bayern, auch in der zweiten Reihe. Einer wie Borowski etwa stellt sich hinten an, wartet auf seine Chance, macht keinen Ärger - das zeigt wahre Größe. Aber wenn zu viel Unruhe bei den Reservisten aufkommt, muss man als Trainer höllisch aufpassen.
Und der Eingriff der Mannschaft in die Hoheit des Trainers? In sein System, in die taktische Ausrichtung?
Aus einer sicheren Abwehr heraus zu spielen, ist doch die richtige Taktik für die nächsten Wochen. Vorne sind die Bayern mit dieser Offensive um Ribéry, Toni und Klose immer für ein, zwei Tore gut. Aber du kannst weder in der Bundesliga noch in der Champions League die Gegner überrennen im Hurrastil, das geht nicht. Der Schlüssel zum Erfolg ist immer erst einmal die Defensive - so haben wir damals 2001 die Champions League gewonnen.
Unter Ottmar Hitzfeld. Hat der ehemalige Bayern-Coach in Sachen Taktik auch mit sich reden lassen?
Was ist denn bitte daran verkehrt, mit den wichtigsten Spielern zu sprechen und sie mit einzubeziehen? Natürlich hat Ottmar das gemacht, mit Oliver Kahn und mit mir. Als Trainer musst du dich auf deine Jungs verlassen können, da muss es ein Vertrauensverhältnis geben. Das sind alles gestandene Profis. Kommunikation ist wichtig. Außerdem hat dieses Miteinander ja auch einen Vorteil.
Welchen denn?
Auf diese Weise nimmst du als Trainer deine wichtigsten Leute in die Pflicht. Da zeigt ein Coach doch Größe. Hitzfeld hat mich früher auch mal zur Seite genommen und gefragt: ,Was meinst Du, Stefan? Wie denkst Du darüber?' Dadurch verliert ein Trainer doch nicht an Macht. Im Gegenteil: Wenn du dich abwendest und die Gedanken und Anregungen aus der Mannschaft ignorierst, wird es zum Risiko?
Droht das auch Klinsmann?
Jürgen ist ein cleverer Mensch, er weiß, dass er bei Bayern nur an Ergebnissen gemessen wird. Er hat nicht so ein ruhiges Umfeld wie etwa Thomas Schaaf in Bremen.
Klinsmann wird an Ergebnissen, an Titeln gemessen. Was passiert denn, wenn es in den nächsten Wochen weitere Pleiten geben sollte?
Es ist die entscheidende Phase in einer Saison. Natürlich weiß Jürgen Klinsmann, dass er an Titeln gemessen wird. Und es ist ja nach wie vor noch alles möglich.
Glauben Sie, dass die Bayern-Bosse Klinsmann während der Saison entlassen würden, wenn weiter verloren wird?
Nein, das glaube ich nicht. Dafür waren die Aussagen von Rummenigge und Hoeneß zuletzt viel zu klar und eindeutig. Sie haben ihm das Vertrauen ausgesprochen, bei einer Entlassung wären sie ja dann nicht mehr glaubwürdig. Mit Klinsmann kam ein neues Konzept, eine neue Richtung - das wirft man nicht einfach so weg. Ich gehe davon aus, dass Jürgen Klinsmann die Saison zu Ende macht und auch als Cheftrainer in die neue Saison hineingehen wird.
Interview: Patrick Strasser