Beckenbauer kontra van Gaal: "Furchtbar langweilig"

UNTERFÖHRUNG - Bayerns Präsident schießt gegen den neuen Trainer und dessen Taktik. Er glaubt, dass die Geduld der Bosse nur noch bis zur Winterpause reicht.
Der Abend danach war kaum weniger grausam. 24 Stunden nach dem Bordeaux-Debakel mussten die Bayern-Fans mit ansehen, wie die nationale Konkurrenz einen ordentlichen Auftritt auf der Champions-League-Bühne hinlegte. Der in der Liga kriselnde VfB Stuttgart verpasste in Sevilla knapp den Auswärtssieg und kann nun sogar weiterkommen. Tags zuvor hatte Meister Wolfsburg bei Besiktas triumphiert. Und der FC Bayern? Nur noch ein Wunder kann das Aus verhindern – und vielleicht eine völlig neue Taktik? Franz Beckenbauer jedenfalls sagte nun bei „Sat 1“ über Bayerns Ballgeschiebe beim 0:2: „Furchtbar langweilig! Das war Fußball wie vor 20 Jahren.“
Knallharte Kritik am neuen Trainer Louis van Gaal. Dabei war Beckenbauer bei der Partie gegen Bordeaux gar nicht in der Allianz Arena. „Wenn ich im Stadion bin und Bayern ein Champions-League-Spiel verliert, dabei auch noch schlecht spielt, dann musst du das ein oder andere sagen. Das gefällt manchen nicht, und ich habe nur Ärger.“ Nun ist es so, dass man einen Tag später im TV auch nicht unter sich ist, und so könnte es sein, dass Beckenbauer mal wieder Ärger mit „manchen“ bekommt. Er sprach nämlich die Brennpunkte an:
Das Fehlen eines Chefs: Beckenbauer sagt: „Mit Robben kam ein bisschen mehr Bewegung ins Spiel. Er traut sich mal was zu, geht in die Zweikämpfe, versucht einen Gegenspieler auszuspielen – das machen die Anderen alle nicht. Die sind zu sehr bemüht, die Verantwortung wegzuschieben, den Ball in den eigenen Reihen zu halten, und da kommt nichts dabei heraus.“
Tatsächlich erreicht das kreative Vakuum im Bayern-Mittelfeld ohne Rib&Rob Ausmaße eines schwarzen Lochs. Schweinsteiger? Heillos überfordert. Van Bommel? Hat genug mit der Defensive zu tun. Timoschtschuk? Null Punkte. Pranjic? Dito. Das Experiment mit Frank Ribéry als „Zehner“ ist längst gescheitert, Alternativen sind nicht in Sicht, und die richtig Guten, zum Beispiel Juves Diego, spielen bei der Konkurrenz.
Die Abhängigkeit von Ribéry: Beckenbauer sagt: „Der Unterschied von gut zu sehr gut ist Franck Ribéry. Die Mannschaft hat ein anderes Gesicht, wenn er spielt. Nimmt man Messi bei Barcelona raus – gut, die haben noch ein paar andere – aber Barcelona hat ein anderes Gesicht mit Messi als ohne ihn. Wir warten auf Ribéry.
Was van Gaal zugibt. „Wir wissen, dass Kreativität fehlt“, sagt der Trainer, „wenn Ribéry und Robben fehlen, müssen wir Positionsspiel und Ordnung haben.“ Ob er damit potenziellen Impulsgebern wie Bastian Schweinsteiger Selbstbewusstsein gibt?
Bayerns Spielweise: Beckenbauer sagt: „Es ist mir ein bisschen zu viel Ballhalten. Vor 20 Jahren hat man das mal gemacht. Wenn du im Ballbesitz bist, kann der Gegner kein Tor schießen – das hat schon Sepp Herberger gesagt. Aber das ist natürlich auch furchtbar langweilig! Es nützt nichts, wenn ich hinterher sage, wir haben 70 Prozent Ballbesitz gehabt, aber das Spiel 2:0 verloren."
Die Statistik des Bordeaux-Spiels weist für Bayern 493 geglückte Passfolgen aus - Sieger Bordeaux kam mit 271 aus. Dabei spielten sich die Innenverteidiger Badstuber und Demichelis 38 Mal den Ball zu, Lahm und Timoschtschuk kamen auf 30 Pässe, Braafheid und Pranjic nur auf zwei. Schade, dass es sich vor allem um Querpässe handelte. Denn in Sachen Offensive sieht’s düster aus. So passte beispielsweise Schweinsteiger exakt ein Mal auf Klose.
Van Gaals Zukunft:Beckenbauer sagt: „Ich glaube, unser Vorstand hat die Geduld – zumindest bis zur Winterpause. Aber die Chance muss man van Gaal einfach geben. Ich halte viel von ihm. Überall, wo er gearbeitet hat, hat er gute Ergebnisse hinterlassen. Er wird den Laden auch in den Griff bekommen."
Darauf setzen bis dato auch die Bosse Hoeneß und Rummenigge. Wie es um beider Geduld bestellt ist, bleibt jedoch offen. Aus der Bayern-Zentrale hieß es am Donnerstag: „Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge äußern sich bis zum Wochenende überhaupt nicht.“
Thomas Becker