Beckenbauer: „Fußball hat auch etwas mit Hirn zu tun“

Beckenbauer kritisiert Klinsmanns Taktik, spricht sich für den Kauf von Rafinha aus und fürchtet „den Teufel in Form von 70000 Zuschauern“. Und lieber als in die Arena geht er zu den Zahnärzten.
MÜNCHEN Franz Beckenbauer hatte seelische Schmerzen. Im Saal des Hilton Hotel am Tucherpark kamen die bösen Erinnerungen. „Hier waren wir rund ums WM-Finale 1974. Hier war das Festbankett nach unserem Finalsieg gegen Holland“, erinnerte sich Beckenbauer als er am Samstagmittag zu Gast war beim „Vertragszahnärztetag Bayern 2009“. Der Bayern-Präsident sollte an der Seite von Schiedsrichter Franz-Xaver Wack, im Hauptberuf Zahnarzt, über Motivation sprechen.
Er sprach zunächst über Rücktritte. „Man muss sich das mal vorstellen: Da gewinnen wir die WM und dann sind unsere Frauen nicht zum Bankett zugelassen, die mussten draußen bleiben. Da sind der Gerd Müller, der Overath und der Grabowski sofort zurückgetreten.“ Zurück zur Gegenwart: Der FC Bayern war Thema vor neugierigen Zahnärzten und Zahntechnikern. Und Jürgen Klinsmann freilich – gar so als läge er wie ein Patient auf dem Stuhl. Und Beckenbauer hatte bereits Phantomschmerzen, als er rund vier Stunden vor Anpfiff des Schalke-Spiels an seine Bayern dachte. „Ich bin ganz froh, dass ich mir das nicht im Stadion antun muss. Wenn wir heute nicht gewinnen, ist die Meisterschaft weg und dann kommt der Teufel in Form von 70000 Zuschauern, die dann irgendwas schreien.“
Klinsmann raus – meinte er. Genau so kam es. Auch wenn es nicht so viele waren. Beckenbauer behielt Recht und wurde immer grantiger im „Premiere“-Studio. „Sie haben nicht schlecht gespielt“, sagte er zunächst milde, ergänzte dann aber fuchtiger: „Ich weiß nicht, warum: Sie gehen raus und wollen gleich in den ersten zehn, 20 Minuten das Spiel entscheiden. Das Spiel dauert 90 Minuten. Und dann, wie wir gesehen haben, haben sie am Ende nichts mehr zum Zusetzen. Es fehlt mir das Nüchterne: Immer sofort raus und drauf und was weiß ich alles. Fußball hat auch etwas mit Hirn zu tun.“ Ist Fußball etwa doch Kalkül? Am Ende gar Mathematik?
Der Vorwuf ging ganz klar an Klinsmanns Power-Fußball, der zum Teil nichts als Aktionismus und Kraftstrotz-Drohgebärden der ersten Minuten ist, wenn man das Gefühl hat, seine Mannschaft komme mit einem 0:2-Rückstand zum Anpfiff aus der Kabine. Hurrastil, Sommermärchenträume – auf sie mit Gebrüll, aber ohne Kalkül.
Schlau dagegen wäre es, Rafinha, den Rechtsverteidiger der Schalker, für die kommende Saison zu verpflichten. „So ein Spieler würde uns gut zu Gesicht stehen, aber ich glaube nicht, dass die Schalker den her geben“, sagte Beckenbauer und erklärte: „Rafinha ist ein ausgezeichneter Spieler, der die rechte Seite abdeckt – da haben wir ja Probleme. Der Lell ist nicht schlecht – aber na ja. Und der Oddo hat das Laufen auch nicht erfunden.“ Der Italiener ist vom AC Milan bis Sommer ausgeliehen, eine Verpflichtung scheint ausgeschlossen.
Am Ende bekam Beckenbauer für seine Stiftung 38000 Euro überreicht sowie eine Reisezahnbürste. Ob er denn gerne zum Zahnarzt gehe? „Nicht ungern. Ich lebe noch, also kann meiner bisher nicht viel falsch gemacht haben.“
Patrick Strasser