Bayern und die Ersatzbank gegen Lissabon: Kuck mal, wer da sitzt
...und sechs weitere Gründe, wieso es sich lohnt, sich aufs Rückspiel in der Champions League am Dienstag gegen Sporting zu Freude
MÜNCHEN Der Super-Gau wäre es, wenn sie die Ersten wären. Und damit dann zugleich die Lachnummer Europas – wenn das reicht, womöglich weltweit. Noch keiner Mannschaft ist es in der Geschichte des Europapokals gelungen, nach einem 5:0-Sieg das Rückspiel derart zu versemmeln, dass im K.o.-System das Aus kam.
Also lieber nicht. Der FC Bayern darf nicht ausscheiden nach einem 5:0-Auswärtssieg im Achtelfinal-Hinspiel bei Sporting Lissabon, kann gar nicht rausfliegen am Dienstag in der Allianz Arena (20.45 Uhr, Premiere live). Wird auch sicher nicht? Laut Statistik eindeutig nein. Das höchste je gedrehte Ergebnis in 17 Jahren Champions League war ein 1:4. Deportivo La Coruña gelang 2004 das Kunststück, mit einem 4:0 im Rückspiel gegen AC Mailand doch noch ins Halbfinale einzuziehen. Die höchste der erst sieben Heimniederlagen des FC Bayern in der Champions League war ein 0:2 gegen den AC Mailand im Frühjahr 2007.
Na also. Das Spiel ist nicht gespielt, das Viertelfinale aber erreicht. Warum aber sollte man sich Freude auf ein Match, dessen Charakter eher das eines Testspiels hat? Die AZ nennt sieben Gründe, warum es dennoch ein Fest in Fröttmaning geben könnt:
1 Weil es für die Bayern-Mannschaft ein Charaktertest ist
Die Arena wird mit 66000 Fans ausverkauft sein, die Tickets haben 15 bis 100 Euro gekostet. Eine Frage der Ehre. „Wir müssen den nötigen Ernst haben und dürfen nicht leichtsinnig werden“, sagte Trainer Jürgen Klinsmann, „das können wir uns nicht erlauben.“ Auch Torhüter Michael Rensing zeigte Verantwortungsgefühl: „Das Stadion wird voll, da geht es nicht um Jux und Dollerei, da müssen wir gut spielen.“
2 Weil es für manchen Spieler eine Bewährungsprobe ist
Für die zweite Reihe, die Bankdrücker der Bayern. Klinsmann kündigte Wechsel an. „Das ist ein Spiel, in dem man diese Möglichkeit nutzen kann. Und bei dem einen oder anderen werden wir es auch tun“, kündigte er an, „wobei ich nicht zu viel rotieren möchte.“ Ribéry (Schienbein-Prellung), Toni (Achillessehne) und Borowski (Oberschenkelzerrung) fallen weiter aus, van Buyten könnte geschont werden. Heißt: Lell, Breno, Ottl oder Sosa könnten eine Chance von Beginn an bekommen. Gerade Verteidiger-Talent Breno und Sosa, der im Winter ausgeliehen werden sollte, haben ihre letzte Spiele von Beginn an im September gemacht. Im Tor darf Jörg Butt, der Ersatzmann von Michael Rensing, der noch keine Minute in einem Pflichtspiel ran dürfte, spielen. „Ich bin froh, dass ich mein erstes Pflichtspiel für die Bayern machen kann", sagte Butt, "es ist natürlich etwas Besonderes, dass es in der Champions League ist. Dass es gegen eine Mannschaft aus Lissabon geht, bedeutete eine zusätzliche Motivation."
3 Weil neue Gesichter zu bestaunen sind
Da auch Donovan (zurück zu L.A. Galaxy) nicht mehr im Kader ist, wird Klinsmann Spieler aus der Drittliga-Mannschaft von Hermann Gerland für einen Champions-League-Abend befördern. Kandidaten wären: Stürmer Deniz Yilmaz (21). „Er ist willig, unheimlich leistungsbereit, müsste vor dem Tor nur noch cooler werden“, sagte Gerland über Yilmaz. Der Coach: „Ihn und zwei andere kann ich Jürgen wärmstens empfehlen.“ Und zwar: Thomas Müller (19) und Holger Badstuber (19). Beide unterschrieben kürzlich Profiverträge bis 2011. Yilmaz und Müller sitzen auf der Bank.
4 Weil man sich 90 Minuten entspannen kann
Endlich mal ein Bayern-Spiel, das der Fan auf der Tribüne ohne unnötiges Zittern samt Angstschweiß genießen kann. Das charakteristische Merkmal der Bayern 2008/09 unter Klinsmann ist ja die Unbeständigkeit, die Unvorhersehbarkeit des Spielverlaufs wie des Ergebnisses. Konstanz? Nur noch ein Relikt der Hitzfeld-Ära. Genau wie damalige Standardergebnisse, das klassische 2:1 oder 2:0 etwa. Nun geht’s ständig ins Ergebnis-Karussell. Die Rückrunden-Fahrt aller Pflichtspiele 2009 bisher: 5:1, 0:1, 3:1, 1:2, 1:2, 5:0, 0:0, 2:4, 5:1. Gegen Lissabon wird der Besuch zum Wellness-Fall.
5 Weil man 90 Minuten van Bommel beobachten kann
Für den Holländer wird es zum Härtetest. Wie Borowski, der verletzt fehlt, würde van Bommel bei einer Verwarnung das Viertelfinal-Hinspiel gesperrt verpassen. Also lautet das Experiment: Wie bin ich, Mark van Bommel, so lieb zum Gegner und Schiedsrichter, dass ich ohne Foul und Karte auskomme. Er kann es.
6 Weil man so schön abschweifen kann
Gleichzeitig spielen im Champions-League-Achtelfinale Juve gegen Chelsea oder Liverpool gegen Real – die aktuellen Spielstände gibt’s auf der Videoleinwand. Wer kommt weiter? Wer könnte der nächste Bayern-Gegner sein? Ein wenig Fachsimpeln oder Wetten mit den Tribünennachbarn kann eine echte Gaudi sein.
7 Weil sich der Gegner nicht bestimmt noch einmal vorführen lassen will
Nach dem 5:0 im Hinspiel meinte Paulo Bento, Sportings Trainer: „Dieses 0:5 im eigenen Stadion, werde ich niemals vergessen, ich werde mich mein ganzes Leben lang mit Grausen daran erinnern. Wir haben uns alle geschämt.“ Nun wollen sie sich beweisen. Und den 1500 mitgereisten Fans zeigen, dass „wir das Trikot mit Würde und Ehre tragen“, wie Angreifer Derlei sagt. Eine Frage der Ehre.
Patrick Strasser