Bayern und das Euro-Märchen
„Es ist doch nur menschlich...“ Jürgen Klinsmann entschuldigt maue Darbietungen auf nationaler Ebene mit der Champions-League-Kür.
MÜNCHEN Dritte-Liga-Fußball wird ansonsten in der Düsseldorfer Arena gezeigt, die heimische Fortuna ist Tabellenzweiter. Am Mittwochabend aber war von der großen Fußball-Welt die Rede, von Europas Besten, der Champions League. „Hervorragende Leistungen und tolle Spiele“ habe der FC Bayern dort gezeigt in dieser Saison, sagte Trainer Jürgen Klinsmann. Ein Hinweis in eigener Sache. Als müsse er seine Referenzen noch einmal auflisten.
Es war der erste Titel-K.o. Und Klinsmann schwenkt locker rüber von der Pokal-Blamage zum anderen Wettbewerb. „Es fehlt die Konstanz. Die Qualität hat die Mannschaft zig Mal gezeigt, sie hat tolle Spiele in der Champions League gemacht. Die Mannschaft hat es drauf, sie kann in Europa mit jedem mithalten.“
In Europa? Wer dort mithalten kann, so sollte man meinen, müsse dies doch in Deutschland, in der Liga wie im Pokal, auch schaffen. Klinsmanns Argumentationsflucht wirft Rätsel auf. „Es ist doch nur menschlich“, findet er, „dass man auf dem gleichen Level, den wir in der Champions League bringen, nicht auch in jedem Bundesligaspiel auftreten kann“. Abgesehen davon, dass Bayern gerade im DFB-Pokal gescheitert war: Ist die Bundesliga nicht mehr das Maß aller Dinge, „unsere Basis“, wie Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagt?
Die Fakten: Sieben Spiele haben die Bayern in dieser Champions-League-Saison gemacht, fünf davon gewonnen, zwei Unentschieden, die Tordifferenz lautet 19:4. Ungeschlagen in Europa – eine tolle Bilanz, fürwahr. In der Vorrunde waren sie mit 14 Punkten das beste aller Teams, nach dem 5:0 im Achtelfinale bei Sporting Lissabon führt Miroslav Klose mit sechs Treffern die Champions-Torjägerliste an – so weit, so sehr gut.
Doch bei einem Blick auf die Gegner muss festgestellt werden: Steaua Bukarest, AC Florenz, Olympique Lyon und nun Sporting Lissabon – das ist höchstens Güteklasse zwei bis drei in Europa. Nur Lyon kam in den letzten Jahren immer mal wieder in die K.o.-Runden, aber nie ins Halbfinale. Florenz ist in Italien hinter den Mailänder Vereinen, Juventus Turin und dem AS Rom höchstens fünfte Kraft, Sporting in Portugal im Vergleich zum FC Porto eine kleine Nummer. Daher die Frage: Was wird sein, wenn...? Wenn die Bayern auf einen der englischen Top-Klubs, Inter Mailand oder Barcelona im Viertelfinale treffen? Endstation Träumerei? Das 3:0 gegen Florenz war ein glücklicher Sieg, das 1:1 auswärts akzeptabel. Beim 3:2 in Lyon wurde frech nach vorne gespielt.
„Das Rückspiel gegen Lissabon wird ein gemütlicher Abend. Dann haben wir unser Mindestziel in der Champions League schon erreicht“, meinte Manager Uli Hoeneß, „dann gehören wir wieder zu den besten acht Mannschaften Europas.“ Doch was hilft ein mögliches Aus im Viertelfinale, wenn in der Bundesliga die Qualifikation für Königsklasse Version 09/10 nicht geschafft wird? Was helfen die Verweise auf die ordentlichen bis guten Leistungen auf europäischer Bühne, wenn es nicht einmal gegen Aufsteiger Köln zum Sieg reicht? Klingt nach: Klinsmanns Euro-Märchen. Womöglich wird es zur Gefahr, dass die Mannschaft durch das Double 2008 etwas zu satt geworden ist und nach einem Jahr Abstinenz zu sehr auf den Pott-der-Pötte-Wettbewerb blickt. „Die Spieler haben die Faszination Champions League im Kopf, dürfen neben dieser Kür aber die Bundesliga-Pflicht nicht vergessen“, mahnte Klinsmann.
Unter Ottmar Hitzfeld hat die Mannschaft meist den Spagat zwischen drei Wettbewerben geschafft – durch eine geschickte Mischung aus Spielerrotation und feiner Psychologie. „Letztlich ist es bei diesem Team Kopfsache“, meinte Klinsmann, „es hat in allen Champions-League-Spielen gezeigt, dass es machbar ist.“ Doppelt gut aber hält besser.
Patrick Strasser