Bayern schwebt

MÜNCHEN - Nach dem 1:0 gegen Olympique Lyon wird der Traum vom Triple immer realer. Präsident Hoeneß wirkt regelrecht euphorisiert und lobt:„Diese Mannschaft kann Berge versetzen“
Für das Finale planen? Jetzt schon? Um Himmels Willen! Ein 1:0 ist eine Verheißung, aber noch lange kein Versprechen. Vorsicht ist die Mutter der Phrasenkiste. Kein Spieler oder Verantwortlicher würde es wagen, nach dem dünnen, aber überzeugenden Sieg im Halbfinal-Hinspiel der Champions League gegen Olympique Lyon sich des Finales sicher zu sein.
Nur träumen ist erlaubt. Sich hineindenken in die gewaltige, dreistöckige Betonschüssel von Real Madrid, das altehrwürdige Estadio Santiago Bernabeu, der Austragungsort des Endspiels gegen Inter Mailand oder den FC Barcelona. Augen zu und ab dafür an jenen 22. Mai, den Abend der Sehnsucht für alle Bayern. Glanz und Gloria bei geschlossenen Lidern. Mehr Kribbeln geht nicht.
Dann knallt die Realität rein, der Faktenzwang. Dieser Papierkrieg! Bestellungen ausfüllen, faxen. Als Fan hat man’s schwer dieser Tage. Zwischen Triple-Traum (alle drei Titel) und einem ebenso noch möglichen Totalversagen (ganz ohne) ist alles drin in dieser absurden, immer unheimlicher werdenden Saison. Gegen jedweden Aberglauben muss gehandelt werden.
Denn Freitag, 16 Uhr, ist Schluss. Doch eigentlich geht jetzt schon nichts mehr. In der Ticketabteilung des FC Bayern an der Säbener Straße liegen schon über 50000 Bestellungen für das Finale vor – rund 20500 Karten bekommen die jeweiligen Finalisten, zum Preis von 90 bis 300 Euro (dieses Kontingent wäre bereits restlos vergriffen). Und das Rückspiel am Dienstag in Lyon? Nur eine Stätte des Triumphzugs auf dem Weg in Spaniens Hauptstadt?
Frühlingsgefühle. Ein ganzer Verein aus lauter frisch Verliebten. Alles ist leicht, alles geht. Bayern schwebt.
„So spielt eine Final-Mannschaft“, sagte Präsident Uli Hoeneß, „diese Mannschaft hat so eine großartige Moral, sie kann Berge versetzen.“ Sie mussten sich bemühen, nach dieser beeindruckenden Leistung mit einer Mischung aus individueller Klasse (Robben! Schweinsteiger! Lahm!) und kollektiver Stärke (diese Unterzahlsouveränität!) ruhig zu bleiben. Cool bleiben und verzögern, die Emotionen müssen dann bei den Titelpartys dran glauben. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge meinte: „Das Ergebnis ist sehr gut. Wir sind auch in der Lage, in Lyon ein Tor zu machen und fahren hoffnungsvoll dorthin.“ Hoffnungsvoll? Eher mit Gänsehaut als zweitem Trikot. Die Dressen dürften in den nächsten, Titel-entscheidenden Wochen ziemlich spannen rund um die Brust – vor Selbstvertrauen im Überfluss.
„Ich denke, dass wir wieder ganz Europa gezeigt haben, wie stark wir sind“, sagte Trainer Louis van Gaal. Sollen sie sich ruhig fürchten, die Superstar-Truppen von Inter Mailand oder Barcelona. Die Bayern sind gewachsen in dieser Saison, mittlerweile eine Elf aus Zwei-Meter-Kickern.
Sechs Spiele noch wollen die Bayern auf Wolke Louis schweben. Von einem Titel zum anderen. Am Samstag in Gladbach soll der erste (nahezu) perfekt gemacht werden. „Wenn wir da gewinnen, werden wir Meister“, sagte Danijel Pranjic, „dann ist die Sache vorbei.“ Und Trophäe Nummer eins im Sack.
„Tage voller Sonne, voller Glück, oh FCB.“ So singt Erik Brodka in seiner Schmuse-Bayern-Hymne. Und schon schließt man wieder die Augen.
Patrick Strasser