Interview

Bayern-Boss Hainer: "Es ist wichtig, das Gedenken an die Opfer aufrecht zu erhalten"

Bayern-Präsident Herbert Hainer spricht in der AZ über das Olympia-Attentat auf die israelischen Sportler vor 50 Jahren und die Gedenkfahrt am Sonntag.
von  Maximilian Koch
"Als es dann in der Nacht auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck zu dem schrecklichen Ausgang kam - dafür gibt es keine Worte", sagt Bayern-Präsident Herbert Hainer über das Attentat 1972.
"Als es dann in der Nacht auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck zu dem schrecklichen Ausgang kam - dafür gibt es keine Worte", sagt Bayern-Präsident Herbert Hainer über das Attentat 1972. © imago images/Heinz Gebhardt

AZ-Interview mit Herbert Hainer: Der 68-Jährige ist seit 2019 Präsident des FC Bayern. Zuvor war er von 2001 bis 2016 Vorstandsvorsitzender bei Adidas.

AZ: Herr Hainer, am Sonntag findet in München eine sehr bedeutende Gedenkfahrt statt: 50 Jahre ist es her, dass während der Olympischen Spiele 1972 elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist grausam ermordet wurden. Sie werden bei der Veranstaltung mit den Stationen Olympiapark und Fliegerhorst Fürstenfeldbruck persönlich dabei sein. Wie wichtig ist dieses Zeichen des Erinnerns?
HERBERT HAINER: Mein Bruder hat damals in München Sport studiert und bei den Olympischen Spielen 1972 gearbeitet. Ich habe ihm ab und zu geholfen, und so war ich bei einigen Wettbewerben sogar live dabei. Es waren großartige Spiele, die ganze Stadt lebte – und dann kam dieser erschütternde Tag, der uns alle noch heute bewegt. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie wir stundenlang vor dem Fernseher saßen, um die Ereignisse zu verfolgen. Als es dann in der Nacht auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck zu dem schrecklichen Ausgang kam – dafür gibt es keine Worte. Wir haben beim FC Bayern unsere Mitglieder und Fans aufgerufen, an dieser Gedenkveranstaltung teilzunehmen, weil Erinnerung lebendig bleiben und die Menschen in Bewegung halten soll. Wir würden uns sehr freuen, wenn am Sonntag um 9 Uhr möglichst viele Menschen mit ihren Rädern zum Olympiapark kommen und gemeinsam nach Fürstenfeldbruck radeln. Es ist ein wichtiges Zeichen.

"Ich sage immer, dass der FC Bayern auf drei Säulen steht: Sportlicher Erfolg, wirtschaftliche Stabilität und gesellschaftliche Verantwortung", erklärt Bayern-Präsident Herbert Hainer.
"Ich sage immer, dass der FC Bayern auf drei Säulen steht: Sportlicher Erfolg, wirtschaftliche Stabilität und gesellschaftliche Verantwortung", erklärt Bayern-Präsident Herbert Hainer. © IMAGO/imagebroker

Es wurde damals auch diskutiert, ob man die Spiele abbrechen soll. Letztlich hat man sich entschieden, weiterzumachen.
Das war eine sehr schwere Entscheidung. Als junger Kerl von 18 Jahren habe ich mich damals als Sportler durch und durch gefühlt und konnte nachvollziehen, dass Athleten, die alles auf sich nehmen, um einmal an Olympischen Spielen teilzunehmen, weitermachen wollten. Auf der anderen Seite hätte man sicher auch Verständnis haben müssen, wenn die Spiele abgebrochen worden wären. Es ist generell wichtig, das Gedenken an die Opfer aufrecht zu erhalten.

"Beim FC Bayern gab es damals Opfer, aber auch Täter"

Der FC Bayern hat selbst eine jüdische Geschichte, die in den vergangenen Jahren intensiv aufgearbeitet wurde. Kurt Landauer war zwischen 1913 und 1951 insgesamt 19 Jahre Präsident des Klubs, führte Bayern zur ersten Meisterschaft. Welchen Stellenwert hat Landauer in der Bayern-Historie?
Kurt Landauer ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in unserer Vereinsgeschichte. Er steht für Versöhnung und dafür, dass man sich die Hände reichen sollte, wenn man gemeinsam etwas bewirken will. Als FC Bayern haben wir generell eine soziale Verantwortung, weil wir sehr vielen Menschen Werte wie Toleranz und Weltoffenheit vermitteln können. Mit Blick auf die jüdische Komponente unserer Vereinsgeschichte ist es auch wichtig, dass wir beim Institut für Zeitgeschichte eine unabhängige Studie eigens in Auftrag gegeben haben, um aufzuarbeiten, wie es sich während der NS-Zeit beim FC Bayern verhalten hat. Beim FC Bayern gab es damals Opfer, aber auch Täter. Man muss diese Thematik transparent besprechen, denn nur wenn man die Geschichte ehrlich und umfassend abbildet, erreicht man eine authentische Auseinandersetzung, die auch etwas bewirkt.

"Landauer ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in unserer Vereinsgeschichte", sagt Hainer.
"Landauer ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in unserer Vereinsgeschichte", sagt Hainer. © sampics

Der Verwaltungsbeirat hat am Dienstag einstimmig beschlossen, dass Sie am 15. Oktober erneut für das Präsidentenamt kandidieren sollen. Wie wichtig ist Ihnen der soziale Aspekt in Ihrer nächsten Amtsperiode?
Das gehört in meinen Augen zur DNA des FC Bayern und ist mir als Präsident von Beginn an extrem wichtig gewesen. Wenn ich wiedergewählt werde, werde ich mich weiter auch im sozialen Bereich mit Herz engagieren. Ich sage immer, dass der FC Bayern auf drei Säulen steht: Sportlicher Erfolg, wirtschaftliche Stabilität und soziale Verantwortung. Wir leben Werte vor – und wir versuchen dort zu helfen, wo wir helfen können. Nur ein paar Beispiele: Unser FC Bayern Hilfe e.V. unterstützt Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind. Bei unserer Initiative "Rot gegen Rassismus" haben wir jetzt erst auf unserer USA-Reise wieder zu einer Podiumsdiskussion mit Oliver Kahn, Julian Nagelsmann und mir eingeladen. Zudem haben wir unsere Wanderausstellung "Verehrt, verfolgt, vergessen" zu unserer jüdischen Geschichte im Kapitol in Washington präsentiert. Wir unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine mit Behinderungen, haben zu Spenden an die SOS-Kinderdörfer weltweit aufgerufen, unterhalten die "Arena of Change" am Campus zur Förderung von benachteiligten Kindern und sind immer wieder bei der Tafel in München. Erst diese Woche haben wir beim Pokalspiel Viktoria Köln 50 Prozent unserer Einnahmen überlassen. All das soll den FC Bayern auch künftig kennzeichnen.

Herbert Hainer: "Gerade Rassismus läuft leider oft unterschwellig ab"

Ist Uli Hoeneß bei diesem sozialen Aspekt ein Vorbild für Sie?
Uli Hoeneß ist auch hier ein Vorreiter in der Bundesliga, gar keine Frage. Er hat viele Dinge angestoßen wie etwa die Retterspiele für angeschlagene Klubs.

Wie sehen Sie generell die Gefahren von Rassismus oder Homophobie in unserer Gesellschaft?
Ich denke, viele Menschen täuschen sich selbst, wenn sie sagen, diese Themen gehen sie nichts an. Gerade Rassismus läuft leider oft unterschwellig ab: Die Betroffenen sprechen von Nadelstichen, die in der Seele schmerzen. Leider kommt es auch immer wieder zu Vorfällen in Stadien. Deshalb darf man nicht aufhören, für diese Themen ein Bewusstsein zu schaffen, um eine nachhaltige Veränderung zu bewirken. Wir gehen das zum einen intern mit Workshops und zum anderen mit gezielten Aktionen nach außen an. Beim Thema Homophobie unterstützen wir beispielsweise unseren Fanklub "Queerpass Bayern" seit Jahren beim Christopher Street Day, und haben da insgesamt einen wertvollen Austausch. Die Allianz Arena in Regenbogenfarben ist inzwischen weltweit ein bekanntes Signal gegen Diskriminierung jeder Art, für Vielfalt und Toleranz. Der Sport darf hier aber nicht alleine stehen, er kann nichts alleine lösen, da ist die ganze Gesellschaft gefragt.

Wie sehen Sie es, dass sich Spieler wie Leon Goretzka persönlich gegen Rassismus engagieren?
Es gefällt mir insgesamt sehr gut an der neuen Spielergeneration, dass sie sich zu gesellschaftlichen Themen wie Rassismus oder generell Diversität äußert.

Bei Goretzka dürfte Ihnen gefallen, dass er nach seiner Knie-OP nun auch wieder sportliche Akzente setzt. Im Pokal in Köln gab er sein Comeback und schoss direkt ein Tor.
Selbstverständlich habe ich mich darüber gefreut. Ich habe ihn während seiner Reha oft beobachtet - dass er gleich beim Comeback ein Tor erzielt, hat ihm sicher gutgetan. Das hat man ihm auch angesehen.

"Wir haben eine starke Mannschaft, die immer mehr ins Rollen kommt"

An diesem Samstag geht es für Bayern zum Topspiel bei Union Berlin, kommende Woche startet dann schon die Champions League mit der Partie bei Inter Mailand. Wie schwierig ist diese Gruppe mit Inter, dem FC Barcelona und Viktoria Pilsen?
Es ist keine einfache Gruppe, mit Inter und Barcelona sind zwei internationale Schwergewichte dabei, und Pilsen werden wir nicht unterschätzen. Aber ich bin überzeugt, dass wir uns durchsetzen. Wir haben eine starke Mannschaft, die immer mehr ins Rollen kommt. Ich traue diesem Team viel zu, da hat unser Vorstand um Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic im Sommer hervorragend gearbeitet.

Wer sind die größten Konkurrenten im Kampf um den Königsklassen-Triumph?
Real Madrid muss man immer auf der Rechnung haben. Dazu kommen in meinen Augen Manchester City, Liverpool und Paris Saint-Germain. Aber wir als FC Bayern haben den Anspruch, den Titel zu holen.

Sie fürchten also keinen Gegner?
Nein, wir müssen keine Angst haben. Für den Champions League-Sieg braucht man aber auch das nötige Quäntchen Glück. 2012 hatten wir Pech gegen Chelsea, da haben wir das Spiel dominiert. 2013 hätten wir gegen Dortmund auch in Rückstand geraten können.

"Wir alle wünschen uns, dass ihn die Fans freundlich empfangen"

Am 13. September erwartet Bayern dann im Heimspiel Barcelona und Lewandowski. Welchen Empfang wünschen Sie Ihrem Ex-Stürmer?
Wir alle wünschen uns, dass ihn die Fans freundlich empfangen. Das hat er sich verdient. Robert Lewandowski hat acht Jahre bei uns gespielt, einen Rekord nach dem anderen aufgestellt und uns geholfen, viele Titel zu gewinnen. Der Fußball schreibt tolle Geschichten, und unser schnelles Wiedersehen mit Robert ist eine davon. Insgesamt blicken wir aber immer nach vorne. Und bei aller Wertschätzung für Robert: Unser Augenmerk liegt darauf, gegen Barcelona gewinnen zu wollen. Es werden tolle Spiele für unsere Fans.

Ist die Bayern-Abwehr denn in der Lage, Lewandowski auszuschalten?
Davon gehe ich fest aus.

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