AZ-Serie: Koa Pott, dennoch ein Glücksfall – das Finale dahoam
München - Ob Bastian Schweinsteiger diesen Donnerstag eine Breze frühstückt, dazu einen Orangensaft trinkt? Und auf eine Zeitreise geht?
Wenn der Mittelfeldspieler, den die Bayern-Fans stets als "Fußball-Gott" feierten, Sinn für besondere Momente, für Nostalgie und Selbstironie hat, dann macht er an diesem 19. Mai genau das: Lauge und O-Saft.
Bittersweet Memories. Wie damals am Tag danach, in den Stunden nach dem Champions-League-Finale vom 19. Mai 2012, das der FC Bayern trotz grotesker Überlegenheit gegen den FC Chelsea verlor. Gibt es einen Fußball-Gott, also noch einen abgesehen von Schweinsteiger, hat der sich mit diesem Endspiel in der Allianz Arena einen schlechten Scherz erlaubt.
Schweinsteiger am Tag danach: "Es herrschte eine Totenstille in der Stadt"
Schweinsteiger setzte den letzten Elfmeter seiner Mannschaft vor der Südkurve an den Pfosten, sprach später vom "dunkelsten Moment meines Lebens". Schwer zu verdauen. Nie zu akzeptieren, zu verstehen?
Im Vereinsmagazin "51" erinnert sich Schweinsteiger: "In aller Früh bin ich raus in die Stadt und habe mir einen Orangensaft und eine Breze geholt. Dann bin ich zur Isar spaziert, das habe ich gerne und oft gemacht. An diesem Morgen war ich aber fast allein unterwegs, es herrschte eine Totenstille in der Stadt. An der Reichenbachbrücke habe ich mich auf einen Stein gesetzt und die Füße ins Wasser gehalten. Die Beine taten mir weh, weil ich im Spiel einen Schlag abbekommen hatte. Da tat die Abkühlung gut. Die Niederlage war schwer zu verkraften."
Nach einem total dominant geführten Spiel, das 1:1 endet und ins Elfmeterschießen mündet. Nun ist es ein "Drama dahoam": Verzweifelt versuchte Trainer Jupp Heynckes, fünf Schützen zu finden. "Drei Spieler, die eigentlich prädestiniert gewesen wären, wollten nicht", erinnert sich Heynckes, "und ich wollte keinen schießen lassen, der nicht wollte."
Rummenigge erinnert sich: "Es haben sich – auf Deutsch gesagt – fast alle verpisst"
Der damalige Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge findet rückblickend noch drastischere Worte: "Es haben sich – auf Deutsch gesagt – fast alle verpisst. Sie sind weggeströmt, haben die Hand gehoben und gesagt: 'Ich nicht!'" Toni Kroos etwa und Arjen Robben, der in der Verlängerung einen Foulelfmeter verschoss. Selbst Torhüter Manuel Neuer musste als Schütze ran – und traf. 3:3, noch je ein Spieler waren danach im Elferschießen dran.

Drogba nutzte die Gunst der Fügung, verwandelte leichtfüßig
Schweinsteiger und Didier Drogba – ein Rucksack voller Druck. "Vor dem Elfmeter hast du gemerkt: So ganz wohl fühlt Bastian sich nicht in seiner Haut", will Rummenigge beobachtet haben. Sein Schuss ist nicht schlecht, gut platziert, aber Keeper Petr Cech ahnte die Ecke, lenkte den Ball an den Pfosten. Schweinsteigers Gesicht war aschfahl, leer. Er versteckte es unter dem Trikot. "Ich wollte die enttäuschten Gesichter nicht sehen", sagt er. Drogba nutzte die Gunst der Fügung, verwandelte anschließend leichtfüßig. Aus und vorbei. Chelsea ist Champions-League-Sieger. Ohne zu wissen, warum. Und München wurde der Stecker gezogen. Koa Pott, koa Party.

Jener schicksalhafte Abend von Fröttmaning war ein Anfang
"Ich habe gemerkt, wie enttäuscht die ganze Stadt war, aber auch, wie angetan sie von unserem Spiel war", erinnert sich Schweinsteiger. "Auch die Verkäufer am Viktualienmarkt haben in den Tagen danach versucht, mich aufzurichten. 'Ihr habt so gut gespielt', haben sie gesagt, und: 'Dann gewinnt ihr eben nächstes Jahr'."
Und tatsächlich: Jener schicksalhafte Abend von Fröttmaning war ein Anfang. Dem FC Bayern und dem deutschen Fußball konnte nichts Besseres passieren: Jetzt erst recht! "Bei jedem Einzelnen von uns hat man eine unglaubliche Motivation gespürt", so Schweinsteiger.
Bayerische Stehaufmänner pushen das DFB-Team zum WM-Titel
Die wertvollste aller Niederlagen führte zu einer Kettenreaktion: Wembley 2013, Rio de Janeiro 2014. Ein Jahr nach Chelsea holen die Münchner den ersehnten Champions-League-Titel im reinen Bundesliga-Finale gegen Borussia Dortmund (2:1) – mehr Wiedergutmachung, mehr Frustbewältigung, mehr Genugtuung ging nicht.
Wiederum ein Jahr darauf gewinnt Bundestrainer Joachim Löw mit der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien den WM-Titel durch das 1:0 gegen Argentinien. Geprägt und gepusht von den bayerischen Stehaufmännern nach dem Finale dahoam: Kapitän Philipp Lahm, Schweinsteiger, Neuer, Müller.