AZ-Interview: Ex-Dortmund-Profi Knut Reinhardt über seinen Job als Lehrer
Knut Reinhardt (49) spielte von 1991 bis 1998 bei Borussia Dortmund, wurde dort zwei Mal Meister (1995 und 1996) und gewann die Champions League (1997). Nach dem Karriereende wurde er Grundschullehrer, in diesem Jahr veröffentlichte er sein Buch "Wenn Fußball Schule macht" (Edel Books).
AZ: Herr Reinhardt, Sie haben von 1991 bis 1998 bei Borussia Dortmund gespielt, sind in der Stadt jetzt als Lehrer tätig. Erklären Sie doch, wie Dortmund an Spieltagen nicht Schwarz, sondern Schwarz-Gelb trägt.
KNUT REINHARDT: Das geht in der Früh los, die Leute laufen in ihren Trikots rum, das gehört dazu. Wie sonntags in die Kirche. In Dortmund ist das Stadion, anders als in München, zu Fuß zu erreichen. Daher sind 80.000 Menschen unterwegs, die in die Arena gehen. Das geht nach dem Spiel weiter, denn die Leute gehen in Schwarz-Gelb feiern.
Im Stadion dann: die legendäre Gelbe Wand.
Das ist Gänsehaut. Einmalig! 30.000 Leute, die 90 Minuten vor Anpfiff im Stadion sind. Ich kann mich an kein Spiel erinnern, in dem uns die Fans im Stich gelassen hätten. Im Gegenteil. Es ist so, dass man oft Kraft aus der Wahnsinns-Unterstützung ziehen kann, dass wir Spiele gewinnen konnten, die wir ohne diese Fans nicht hätten drehen können.
Da waren legendäre Spiele dabei, die Kommentator Norbert Dickel in Ekstase brachten.
Ich glaube, in dessen Adern fließt kein rotes Blut, sondern schwarz-gelbes. (lacht)
Sind die Spiele gegen die Bayern noch intensiver? Man spricht vom deutschen Clásico.
Wenn man einen Titel holen will, muss man an Bayern vorbei. Für die Fans wäre es das größte Weihnachtsgeschenk, wenn wir die Bayern in der Liga und kurz vor Weihnachten im Pokal schlagen könnten. Bei so einem Spiel braucht der Trainer nicht viel zu sagen, da ist jeder total motiviert. Aber es wird schwer, die Bayern haben nach dem Trainer-Wechsel zu sich gefunden. Wenn man sieht, wie Jupp Heynckes und Peter Hermann in aller Ruhe wie alte Hasen auf der Bank sitzen, das ist beeindruckend.
Bayern gegen Dortmund: Da scheppert's gerne mal
Was sind die schönsten Erinnerungen an Ihre Karriere?
Das waren die Spiele gegen Bayern. Wir sind 1995 und 1996 Meister geworden, haben da die Bayern einige Male schlagen können, das vergisst du nicht. Die Bayern jetzt zu bezwingen, wird schwer. Sie haben eine enorme Qualität. Aber ich hoffe sehr, dass die Vereine wie Dortmund, wie Schalke oder Gladbach alles daran setzen, den Bayern nachhaltig etwas entgegenzusetzen. Wenn es immer nur einen Klub da oben gibt, wird es langweilig.
Mit 32 Jahren mussten Sie Ihre Karriere beenden.
Ich hätte gern ein, zwei Jahre weiter gespielt, aber mein Körper hat mir nach all den OPs die Entscheidung abgenommen. Wenn einem die Berufsgenossenschaft sagt: "Herr Reinhardt, das war's", muss man das akzeptieren. Ich habe etwas gebraucht, meinen Weg zu finden, aber ich bin jetzt total glücklich als Lehrer. Auch, weil man sehr vieles, was man im Sport gelernt hat, auf den Beruf übertragen kann. Ich bin ein Paradebeispiel dafür, dass man mit Einsatz, Willen und Leistungsbereitschaft viel erreichen kann. Und in der Klasse ist es manchmal auch nicht leiser als es im Stadion war.
Sie unterrichten an der Grundschule an der "kleinen Kieler Straße", die als sozialer Brennpunkt gilt. Eine bewusste Entscheidung?
Heute sagt man "Viertel mit Erneuerungsbedarf". Das klingt schöner, bedeutet aber nichts anderes. Während meines Studiums war ich an vielen Schulen, an dieser war ich vom Teamgedanken begeistert. Die Probleme sind so groß, die kann man allein nicht lösen, das kann man nur miteinander. So wie früher auf dem Platz.
"...aber die heute sind ja fast wie Götter"
Wie muss man sich den Lehrer Knut Reinhardt vorstellen?
Ich gehe auf die Kinder ein, will zeigen, dass man mit Grundtugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit viel erreichen kann, dass man Träume haben und denen folgen soll. Dass man scheitern darf, dann aber weitermachen muss. Ich habe den Kindern deswegen mal ein Zeugnis von mir gezeigt, in dem ich nur eine Vier in Deutsch hatte. Aber ich habe im Unterricht immer eine Rote Karte dabei. Wenn ich die zeige, ist Schluss. Das versteht jeder, das ist international gültig und verständlich.
Müssen Sie Schülern oder deren Eltern eigentlich Autogramme geben?
Das war am Anfang meines Lehrer-Daseins sicher öfter der Fall. Aber es kommt schon vor, dass man irgendwas signieren muss. Es ist ja schön, wenn man nicht ganz vergessen ist.
Wie sehr funktionieren Fußballer, die sich oft als Ich-AG präsentieren, als Vorbilder?
Klar, wenn ein Cristiano Ronaldo fast geschminkt auf den Platz geht und sein Theater abzieht, hat das nicht viel von einem Teamspieler. Aber er ist für viele Kinder ein Idol. Ich hatte auch Idole, aber die heute sind ja fast wie Götter.
Ein Aubameyang, der beim Jubel die Batman-Maske zückt...
Das finde ich humorvoll. Wir brauchen solche Exoten. Ich mag es, wenn Spieler Ecken und Kanten haben. Ich finde daher auch Franck Ribéry toll.
Dembélé, der seinen Vertrag bricht, ist sicher kein Vorbild.
Das ist schlecht für den Fußball und taugt nicht zum Vorbild. Wenn man einen Vertrag unterschreibt, muss man dazu stehen. Das versuche ich den Kindern zu vermitteln.
Die Kinder sind unsere Zukunft, heißt es oft. Sie formen diese Kinder. Haben Sie trotzdem Angst vor der Zukunft?
Wir haben enorme Aufgaben vor uns. Wir haben viele Flüchtlingskinder, die durch das Schreckliche, das sie erlebt haben, traumatisiert sind, die wir integrieren müssen. Es geht um Inklusion. Ich bin froh, dass nach der Bundestagswahl das Thema Bildung endlich in den Vordergrund tritt. Ich sage den Kindern oft: Wenn ihr nicht lernt, müsst ihr Brötchen verkaufen. Ach nee, selbst dafür braucht man heute einen Abschluss!
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