Aus dem AZ-Archiv: Fotograf Hans Rauchensteiner - Auge in Auge mit den Bayern

Aus dem Archiv: Zum Tod von Fotograf Hans Rauchensteiner blickt die AZ auf das Fotobuch "FC Bayern: Inside" zurück. 2017 sprach Rauchensteiner mit der AZ über die Geschichten, die hinter seinen Bildern stecken.
Patrick Strasser, Thomas Becker |
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Alle Augen auf Walter Junghans: Der Bayern-Torhüter beim Spiel an der Liverpooler Anfield Road 1981. Die Fans sitzen direkt hinter dem Tor, ohne trennende Werbebanden.
Alle Augen auf Walter Junghans: Der Bayern-Torhüter beim Spiel an der Liverpooler Anfield Road 1981. Die Fans sitzen direkt hinter dem Tor, ohne trennende Werbebanden. © Hans Rauchensteiner

München - Insgesamt 18 Olympische Spiele, neun Fußball-Weltmeisterschaften, gut zwei Dutzend Mal Wimbledon, zig nationale und internationale Preise – was für eine Fotografen-Karriere! Und wer ist schuld? Eine Frau natürlich. Eine sehr schöne, sehr junge Frau.

Und das kam so: Hans Rauchensteiner, 1948 in Landshut geboren, hatte schon als Kind Spaß am Fotografieren, sparte auf eine Kamera, lief durch die Stadt und sprach hübsche Mädchen an, ob er ein Foto machen dürfe. Irgendwann stand er vor Renate, einer besonders hübschen 17-Jährigen, angehenden Theaterschauspielerin. "Bildhübsch", erinnerte sich Rauchensteiner, "aber verarscht hat sie mich, englisch mit mir gesprochen, um mich abzuwimmeln." Er blieb hartnäckig, bekam seine Fotos – und Lob von der Mutter der Schönen: "'Sie müssen Fotograf werden. Mit dieser einfachen Kamera so tolle Bilder!' Tja, dann war die Renate viele Jahre mein Modell."

Hans Rauchensteiner ist im Alter von 72 Jahren gestorben.
Hans Rauchensteiner ist im Alter von 72 Jahren gestorben. © imago/Baering

Hans Rauchensteiner, der Mann mit dem eisgrauen Schnurrbart, konnte stundenlang erzählen. Von Saunarunden mit Matti Nykänen, von der Papstaudienz mit Jean-Marie Pfaff, von den Saufgelagen der DFB-Kicker bei der 78er-WM. Jetzt ist er tot. Gestorben am Samstagabend, nachdem er seine Bilder vom Bayern-Spiel gegen Dortmund in die Welt geschickt hatte. Oft waren es einzigartige Bilder, wie das von Walter Junghans 1981 an Liverpools Anfield Road. Kein Ball, keine Action, aber Atmosphäre pur. Er wird fehlen, der Hans.


In memoriam: In Gedenken an Hans Rauchensteiner folgt nun ein Artikel aus dem AZ-Archiv. 2017 sprach der Fotograf mit uns über das Fotobuch "FC Bayern: Inside", das bislang unbekannte und spektakuläre Einblicke in die Welt des deutschen Rekordmeisters gegeben hat. Dank der Fotos von Hans Rauchensteiner.


So haben Sie die Stars des FC Bayern noch nie gesehen. Auf 160 Seiten gewährt das Fotobuch "FC Bayern: Inside", wie der Untertitel verspricht "Ungewöhnliche Einblicke von Damals bis Heute" – aus den vergangenen 50 Jahren.

Auch Hans Rauchensteiner hat das mit zahlreichen und ganz besonderen Aufnahmen ermöglicht. Rauchensteiner steht seit 1972 hinter der Kamera, ist seitdem Tag für Tag bei nahezu jedem Training und Spiel, bei Sonne oder Regen immer ganz dicht dran am FC Bayern – er hat die Stars stets im Fokus.

Nach seinem Maschinenbau-Studium arbeitete er bei Siemens und am Wochenende als Fotograf. 1974 kündigte er, um bei der Agentur "Sven Simon" anzufangen. 1980 gründete er seine eigene Fotoagentur, die er mit seiner Frau Hanne führt. Ans Aufhören denkt der 68-Jährige noch lange nicht: "Naa! Warum denn? Ich bin g'sund und mir macht's immer noch Spaß."

In der AZ erzählt Hans Rauchensteiner die faszinierenden Geschichten, die hinter seinen Bildern stecken. Er verrät unter anderem, wie seine Frau beinahe im Ermüdungsbecken der Profis gelandet wäre, warum Norbert Eder die Kommunion seiner Tochter verpasste – und warum Paul Breitner bei seinem Abschiedsspiel Angst vor den Fans haben musste.

FC Bayern gegen Tottenham Hotspur - "Eine einzige Nebelsuppe"

November 1982, FC Bayern gegen Tottenham 4:1: Nur Torhüter Jean-Marie Pfaff ist im Nebel noch zu erkennen.
November 1982, FC Bayern gegen Tottenham 4:1: Nur Torhüter Jean-Marie Pfaff ist im Nebel noch zu erkennen. © Hans Rauchensteiner

"Fünf Tore – und keiner im Stadion hat was gesehen. Ein echtes Geisterspiel! Irre, dass diese Europapokal-Partie nicht abgebrochen wurde. November 1982, Bayern gewinnt 4:1 gegen Tottenham Hotspur. Die Zuschauer haben in eine einzige Nebelsuppe geschaut, konnten in dieser Soße kaum etwas erkennen. Ich bin zwischendrin extra rauf auf die Haupttribüne, um das Nichts im Nebel zu dokumentieren. Die 'Süddeutsche Zeitung' hat am nächsten Tag vier meiner Bilder drin gehabt, was ungewöhnlich viel war."

"Coordes wollte meine Frau ins Becken werfen“

Kabinen-Party mit Sekt und Schale: Die Bayern-Stars um Roland Grahammer (l.) und Stefan Reuter (r.) feiern den Titel 1989.
Kabinen-Party mit Sekt und Schale: Die Bayern-Stars um Roland Grahammer (l.) und Stefan Reuter (r.) feiern den Titel 1989. © Hans Rauchensteiner

"Das waren noch Zeiten, als wir bei Siegesfeiern in die Kabine durften. Wie hier 1989. Bei der Meisterparty 1990 war meine Frau Hanne mit in den Katakomben. Plötzlich packte Bayerns Co-Trainer Egon Coordes sie und wollte sie ins Entmüdungsbecken schubsen – mitsamt der Kamera. Kollegen haben ihr geholfen. Das war ein Geziehe und Gezerre, Coordes hat es zum Glück nicht geschafft. Später kamen dann die Bierduschen in Mode. Meine heftigste habe ich 2010 abbekommen, von Mario Gomez. Einen ganzen 1,5-Liter-Humpen! Das verzeihe ich dem Gomez nie (lacht)! Ich hatte keine Klamotten zum Wechseln dabei, weil ich gleich in der Nacht zurückfahren wollte. Notdürftig habe ich mich gesäubert, trotzdem die ganze Fahrt über nach Bier gestunken. Wir waren zu viert im Auto und irgendwie leicht besoffen vom Bierdunst, als wir in München ankamen."

Paul Breitners Abschied: "Ein bisschen Angst“

Mit zerfetztem Leiberl: Die Fans reißen Paul Breitner beim Abschied 1983 das Trikot vom Leib.
Mit zerfetztem Leiberl: Die Fans reißen Paul Breitner beim Abschied 1983 das Trikot vom Leib. © Hans Rauchensteiner

"Seinerzeit war ich noch jung und fit, konnte so auf der Ehrenrunde beim Abschiedsspiel von Paul Breitner im Olympiastadion mitlaufen. 3:2 hatte er mit seinen Bayern gegen eine Weltauswahl um Zico und Kempes gewonnen, je eine Halbzeit in beiden Mannschaften gespielt. Richtig anstrengend wurde es erst nach Abpfiff. Die Fans haben ihm fast das Trikot vom Leib gerissen. Ich glaube, er hatte ein bisschen Angst, weil die Fans so euphorisch waren. Heutzutage rennen die Spieler bei einem Platzsturm ja gleich in die Kabine – ist auch besser so."

Anfield Road: "Ein irres Foto – das auch an der Säbener Straße hängt“

Alle Augen auf Walter Junghans: Der Bayern-Torhüter beim Spiel an der Liverpooler Anfield Road 1981. Die Fans sitzen direkt hinter dem Tor, ohne trennende Werbebanden.
Alle Augen auf Walter Junghans: Der Bayern-Torhüter beim Spiel an der Liverpooler Anfield Road 1981. Die Fans sitzen direkt hinter dem Tor, ohne trennende Werbebanden. © Hans Rauchensteiner

"Acht Fotografen aus München waren damals an der Anfield Road dabei. Wie in England üblich saßen wir alle neben dem Tor des Liverpooler Keepers", erzählt Hans Rauchensteiner. "Auf einmal sah ich durch die Kamera genau gegenüber Torhüter Walter Junghans und die Gesichter der Zuschauer – irre. Wegen der kurzen Optik, einer 300er, die langen Objektive wie heute gab es noch nicht, musste ich zur Mittellinie bei den Trainerbänken laufen, um näher dran zu sein. Nach drei Minuten kamen die Ordner und schickten mich wieder zurück – das Foto aber war gemacht. Die Perspektive ist so speziell, weil es damals in Liverpool keine Bandenwerbung gab. Noch heute bekomme ich Anfragen von Kollegen, die das Bild als Großabzug fürs Wohnzimmer haben möchten. In einem der Verwaltungsgebäude an der Säbener Straße hängt es auch – zwei Meter groß."

Jean-Marie Pfaff auf der Couch - "Das war seine Idee"

"Der Jean-Marie hat alles mitgemacht": Torwart Pfaff mal ohne Arbeitsklamotten. Das Bild entstand 1984/85.
"Der Jean-Marie hat alles mitgemacht": Torwart Pfaff mal ohne Arbeitsklamotten. Das Bild entstand 1984/85. © Hans Rauchensteiner

"Der Jean-Marie hat alles mitgemacht, ein sehr offener Typ. Das Foto auf der Couch war bestimmt seine Idee (lacht). Ich war damals sein Hausfotograf, oft in seinem Haus in München. Wenn seine Frau in Belgien war, saßen wir manchmal bis tief in die Nacht zusammen. Ich habe ihm die Leviten gelesen: 'Nur wenn du gut hältst, kannst du dir alles erlauben!' Ich musste aufpassen, nicht zu viele Bilder von Pfaff zu machen, seine Mitspieler bei Bayern fanden das nicht so toll. Meine Devise lautet für die Beziehung von Sportler und Fotograf: Ein Geben und Nehmen."

Lothar Matthäus und der Regen in Leipzig "Wer rechnet damit?"

Lothar Matthäus 1997 in den Pfützen von Leipzig. Ein Gewitter hatte den Weg aus der Kabine unter Wasser gesetzt.
Lothar Matthäus 1997 in den Pfützen von Leipzig. Ein Gewitter hatte den Weg aus der Kabine unter Wasser gesetzt. © Hans Rauchensteiner

"Ein Sommergewitter. Als es in Leipzig vor dem Freundschaftsspiel der Bayern dermaßen schüttete, wollte ich umdrehen und nach Hause fahren. Doch es konnte gespielt werden, auf dem Spielfeld liefen die Wassermassen einigermaßen ab. Nur der Weg von der Kabine über die Tartanbahn stand komplett unter Wasser. Wir Fotografen natürlich auch. Manche haben ihre Schuhe und Socken ausgezogen. Man hätte hohe Gummistiefel gebraucht, aber die hatte ich nicht dabei. Wer rechnet denn mit so einem Wolkenbruch?"

Norbert Eder schläft am Flughafen: "Eder verpasste die Kommunion der Tochter"

Am Flughafen eingeschlafen: Norbert Eder nach dem DFB-Pokalsieg 1986.
Am Flughafen eingeschlafen: Norbert Eder nach dem DFB-Pokalsieg 1986. © Hans Rauchensteiner

"Was haben die Bayern gefeiert nach dem Pokal-Sieg 1986, dem 5:2 gegen den VfB Stuttgart. Bis 4 Uhr wurde in einem Berliner Club getanzt. Der Mannschaftsflieger sollte um 9 Uhr starten, ich hatte die erste Maschine von Tegel an jenem Sonntag um 7 Uhr gebucht – doch der Flieger hatte leider Verspätung. Plötzlich sah ich Norbert Eder. Er war im Sitzen eingeschlafen. Als einziger Spieler wollte er auch um 7 Uhr fliegen, um rechtzeitig zur Kommunion seiner Tochter zu kommen. Den Pokal hatte er, weil er ihn ihr zur Überraschung mitbringen wollte. Wir mussten Stunden lang warten, am Ende kamen wir weit nach der Mannschaft in München an. Und Eder verpasste die Kommunion."

Gerd Müller und das fehlende Trikot: "Gerd Müller im Pullover, welch’ Blamage!"

Eigentlich sollte Gerd Müller in dieser Aufnahme von 1983 den WM-Sieg von '74 nachstellen. Doch das Originaltrikot wurde gestohlen.
Eigentlich sollte Gerd Müller in dieser Aufnahme von 1983 den WM-Sieg von '74 nachstellen. Doch das Originaltrikot wurde gestohlen. © Hans Rauchensteiner

"Ich hatte von der 'Hörzu' den Auftrag, die WM-Erfolge von 1954 und 1974 nachzustellen – an den Originalschauplätzen. Die Zeitschrift hat sich das ganz schön was kosten lassen: Für den Triumph von München 1974 wurde extra Gerd Müller mit seiner Familie aus Florida eingeflogen. Aus den Niederlanden sollte Johan Cruyff kommen, doch der sagte leider ab. Sein Ersatz: der holländische Torhüter Jan Jongbloed. Ich hatte mir über einen Kumpel ein Originaltrikot der deutschen 74er-Weltmeister besorgt. Während der 'Hörzu'-Redakteur Jongbloed vom Flughafen abholte, hatten wir Zeit. Also bat ich Gerd, sich in seinem US-Outfit ins Tor zu stellen. So entstand das Bild. Doch die Geschichte ging weiter."

"In der Zwischenzeit hatte mir jemand das Originaltrikot aus der Kabine des Olympiastadions gestohlen. Ich war fassungslos, der ganze Auftrag dahin. Im menschenleeren Stadion lief als einziger der Sohn vom Hausmeister herum. Ich habe ihn gestellt und angefleht: 'Gib' mir bitte das Trikot zurück für die Aufnahmen. Ich schenke es dir danach – mit Widmung vom Gerd.' Doch er beteuerte, es nicht zu haben. So trug Gerd einen gelben Pullover, als wir sein Finalsiegtor von 1974 nachstellten. Welch' Blamage!"

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  • Flansi Hick am 08.03.2021 18:36 Uhr / Bewertung:

    RIP lieber Hans ! ....Du warst ein ganz besonderer Mensch ! Jeder 'Rote' wird Dich in seinem Herzen weitertragen.

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