Aufbauen statt frustrieren

Während Kevin Kuranyi auf Schalke unter dem vermeintlich harten Hund Felix Magath aufblüht, wirkt Mario Gomez unter Louis van Gaal wie ein deprimierter Fremdkörper im Bayern-Kosmos.
MÜNCHEN Wenn der FC Bayern am Samstag auf Schalke 04 trifft, werden die Nachwuchstrainer beim VfB Stuttgart wieder ins Taschentuch heulen. Zwei ihrer großen Jungs tragen die falschen Trikots: Kevin Kuranyi, mit 15 nach Ludwigsburg übersiedelt und von 1997-2005 beim VfB, spielt in Königsblau, und Mario Gomez, aufgewachsen bei Biberach und beim VfB von 2001-09, wird rot tragen – und wahrscheinlich zunächst eine Trainingsjacke.
Das Treffen der Torjäger steht unter der Überschrift „Lauf trifft Anti-Lauf“. Während sich Kuranyi, das selbst bei Heimspielen oft ausgepfiffene Sensibelchen, in dieser Saison Tor um Tor aus der Krise schießt und köpft, steckt Kollege Gomez knietief in selbiger. Nicht schuldlos an diesen Entwicklungen sind ihre Übungsleiter: Felix Magath und Louis van Gaal.
Drei Jahre spielte Kuranyi beim VfB unter Magath, wurde von ihm in die erste Mannschaft befördert, schaffte gar den Sprung ins Nationalteam. Auch fünf Jahre später scheint Magath das Beste zu sein, was Kuranyi passieren kann. Der als harte Hund verschriene Magath findet offenbar die richtigen Worte, um die empfindliche Stürmerseele zu streicheln. „Kuranyi hat auch die Klasse von Dzeko und Grafite“, lobte Magath, „wenn er bereit ist, nochmal an sich zu arbeiten, kann er genauso erfolgreich sein." Wow, wird Kuranyi gedacht haben. Gesagt hat er: „Ein riesiger Ansporn. Aber dazu muss ich noch sehr, sehr viel arbeiten." Kuranyi arbeitet, und wie: „Ich nehme die Medizinbälle sogar mit ins Bett." Sechs Treffer in zehn Bundesligaspielen sind der Lohn. Warum er wieder trifft? Kuranyi sagt: „Als Magath kam, hat sich vieles geändert.“
Bei Mario Gomez ist es ähnlich – nur mit anderen Vorzeichen. Als van Gaal kam und der FC Bayern mit 35 Millionen Euro Ablöse den teuersten Transfer der Vereinsgeschichte getätigt hatte, glaubte man wohl, im Sturm ausgesorgt zu haben. 24 Tore in 32 Ligaspielen lautete Gomez’ Saisonbilanz. Mit dem DFB-Kollegen Klose schien der Traumsturm perfekt.
Es kam anders. Gomez spielte die ersten vier Bundesligapartien durch, traf zwei Mal und wurde beim 5:1 in Dortmund von van Gaal zur Pause ausgewechselt - nachdem er Minuten zuvor den wichtigen Ausgleich erzielt hatte. Seit diesem 12. September ist Gomez der wohl verunsichertste Stürmer der Liga. Mehr als Kurz-Einsätze gewährte ihm van Gaal bis zum Spiel in der alten Heimat Stuttgart nicht mehr. Gomez steht in der Stürmer-Hierarchie sogar hinter dem schon abgeschriebenen Luca Toni. Bayern-Bosse und Mannschaftskameraden verweisen achselzuckend auf den Konkurrenzkampf bei Bayern. Gomez wirkt wie ein Fremdkörper im Bayern-Kosmos.
Wie es weitergeht? Beim FC Bayern gibt man sich überzeugt, dass sich Gomez’ Klasse durchsetzen wird. Er soll bleiben. Kollege Kuranyi ist dagegen in der Schalker Finanzkrise zum Spekulationsobjekt geworden. Magath hat angekündigt, zum Sommer die Gehaltskosten deutlich zu reduzieren. Spitzenverdiener mit etwa 3,8 Millionen Euro: Kevin Kuranyi. Sein Vertrag läuft im Sommer aus, sein Marktwert: etwa neun Millionen Euro – und Manager Magath braucht dringend Geld. Ein anderer Schalker will den Stürmer aber unbedingt halten: der Trainer Magath.
Von so viel Wertschätzung kann Mario Gomez derzeit nur träumen.
Thomas Becker