Au revoir, Monsieur Müller! „Ich muss ja noch lernen“

BORDEAUX - From hero to zero: Thomas Müller, der Aufsteiger der Saison, sieht Gelb-Rot, schwächt sein Team und spricht von einem „Bärendienst“. War Bayerns Shooting-Star doch übermotiviert gegen Bordeaux?
Thomas Müller wusste es sofort. Schon in dem Moment, als er seinen Fuß ausgefahren und den Ball nicht erwischt hatte. Stattdessen traf der 20-Jährige die Achillessehne von Bordeaux-Verteidiger Chalmé. Müller ahnte: Das war's. Ganz so wie ein Autofahrer, der am Straßenrand noch den Blitzapparat sieht und genau weiß, dass es gleich blitzt. Entsetzt hob Müller die Arme, nicht als Unschuldsgeste, eher aus Entsetzen. Ein blödes wie übles Foul – weil vorbelastet durch ein unsinniges, weil übertriebenes Einsteigen in Minute 13.
Gelb-Rot. Es hätte auch glatt Rot sein können, so hart war die Attacke von hinten. Der Effekt war der gleiche. Au revoir, Monsieur Müller – nach 30 Minuten beim Stand von 1:1. Seine Kollegen mussten den Rest erledigen, eine Stunde in Unterzahl. Als Müller seinen Körper rüde in den Gegenspieler gemüllert hatte, kippte das Spiel, zehn Minuten später trafen die Franzosen zum 2:1.
Was die Sache noch schlimmer macht: Beide Fouls leistete sich Müller in des Gegners Hälfte – er hatte mit seinen Attacken nicht mal einen Gegenangriff gestoppt oder gar eine Torchance verhindert. Müller saß auf dem Hosenboden, fluchte und haderte mit sich und seiner Welt, die in Sekunden zusammengebrochen war. Er trottete den für ihn endlos langen Weg Richtung Kabine, einzig sein Ziehvater Hermann Gerland tröstete ihn. So schnell kann's gehen. From hero to zero, vom Matchwinner wie in Freiburg zum Matchdeppen.
„Es tut mir unheimlich leid für das Team“, sagte Müller nach dem Schlusspfiff. „Ich habe der Mannschaft einen Bärendienst erwiesen. Ich muss mich bei allen entschuldigen.“
Brav ist er und einsichtig – oder doch übermotiviert durch die Debatte um eine mögliche Länderspiel-Nominierung im November? „Nein, übermotiviert war ich nicht“, sagte er, „und es ist mir auch egal, was da über mich geschrieben wird. Das hat nichts damit zu tun. Die Aktion heute war halt Mist, aber das gehört dazu – ich muss ja auch noch lernen.“
Tatsächlich ist der Platzverweis der erste Rückschlag für den Mann, den Bundestrainer Joachim Löw für die Testländerspiele der Nationalelf im November nominieren möchte – was Manager Uli Hoeneß echauffiert hatte. Man würde Müller zu früh hoch jubeln und in den Himmel loben. Auch Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge mahnte: „Wir wollen ja nicht den Nationalspieler Müller verhindern, aber es darf nicht zulasten der Entwicklung und der Leistung von Thomas gehen. Und es geht uns im Moment einen Schritt zu schnell." Hatten die Bosse den richtigen Riecher? „Der Thomas kann gut mit der Situation umgehen“, glaubt Kapitän Mark van Bommel. „Vielleicht ist die Diskussion zu groß geworden, jeder diskutiert im Moment mit. Das ist nicht gut für Thomas, nicht gut für Bayern und nicht gut für die Nationalelf. Aber ich glaube, das hat keinen Einfluss auf das Spiel gehabt.“
„Der Druck steigt, das ist normal", hatte Müller noch vor der Partie gesagt, „aber damit muss ich umgehen. Das ist Teil meines Jobs." Auch so eine Dummheit wie in Bordeaux gehört zum Karriereweg. Sie darf ihn nur nicht aus der Bahn müllern.
P. Strasser