"Ancelotti ist menschlicher als Pep Guardiola"

München - Am Montag wurde Carlo Ancelotti an der Säbener Straße offiziell als neuer Bayern-Trainer vorgestellt. Die AZ hat mit dem deutschen Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus über den Italiener gesprochen.
AZ: Herr Matthäus, Sie haben sich in Ihrer Zeit bei Inter Mailand, wo Sie von 1988 bis 1992 spielten, mit dem AC Milan und einem gewissen Carlo Ancelotti viele Duelle geliefert.
LOTHAR MATTHÄUS: Puh, das ist schon sehr lange her. (lacht) Wie sind Ihre Erinnerungen daran? Ich bin meistens als Sieger vom Platz gegangen. Wir haben die meisten Derbys in Mailand gewonnen, obwohl der AC mit Ancelotti in dieser Zeit eigentlich die stärkere Mannschaft war und zweimal die Champions League geholt hat. Baresi, Rijkaard, Gullit, van Basten, Donadoni und eben Ancelotti, ich kann die Mannschaft heute noch aufzählen.
Welche Rolle hatte Ancelotti?
Er war wie Pep Guardiola ein Sechser, aber ein ganz anderer Spieler. Auch ein Stratege, aber dynamischer, körperlicher. Guardiola hat dann ja auch als Trainer vermittelt, nicht zu dribbeln oder Körperkontakt zu suchen – eben eher das technisch feinere Spiel. Ancelotti hat die Mannschaft zusammengehalten, war ein kraftvoller Fußballer mit einem guten Schuss. Interessant, dass Bayern nach Guardiola wieder einen erfolgreichen ehemaligen Spieler von der gleichen Position als ebenfalls erfolgreichen Trainer verpflichtet hat.
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Zufall?
Es ist ein Vorteil, wenn ein Trainer als Spieler früher selbst auf einer Position gespielt hat, auf der strategisches Denken wichtig war. Im Mittelfeld musst du die Mannschaft führen und hast auch so ein bisschen Traineraufgaben, weil du taktisch sehr viel bestimmst. Ich glaube schon, dass das hilft.
Milans damaliger Trainer Arrigo Sacchi gilt als Ancelottis Lehrmeister.
Er hat von diesem großen Trainer profitiert. Das war die große Zeit des AC Mailand. Sacchi hat einen Spielstil erfunden, so wie Guardiola mit dem FC Barcelona vor zehn Jahren. Kein Tiki Taka, aber ein kollektives, frühes Pressing, das jedes Team zur Verzweiflung gebracht hat. Eine Revolution im Fußball.
Wie war Ihr erster Eindruck von Ancelotti in München?
Er hat ein Zeichen gesetzt, dass er versucht, so schnell wie möglich auf die Sprache des Vereins einzugehen – und Deutsch zu lernen. Das habe ich schon bei Guardiola bewundert. Auch Ancelotti nimmt die Herausforderung nicht nur sportlich, sondern auch sprachlich und mentalitätsmäßig an. Ich glaube, Ancelotti ist näher an den Journalisten und an den Spielern dran, als es Guardiola war. Er ist jemand, der kommuniziert, er ist menschlicher. Das ist ihm genauso wichtig wie das Fachliche. Das hat man bei Guardiola ein bisschen vermisst.
Es ist nach Trapattoni der zweite italienische Trainer beim FC Bayern.
Die Zeiten haben sich geändert. Ancelotti ist nicht Trapattoni. Er ist ein moderner Trainer, Trapattoni war ein italienischer. Ancelotti ist welterfahren, Trapattonis erste Auslandsstation war der FC Bayern. Ancelotti hat schon in einigen Ländern erfolgreich gearbeitet.
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Ist der FC Bayern der logische nächste Schritt für ihn?
Bayern gehört zu den Top-Fünf-Adressen im europäischen Fußball. Er war in London, Madrid, Mailand, Paris, da passt München geografisch schon ganz gut rein. Nicht nur von der Stadt und dem Land, sondern auch von der Qualität des Klubs her ist Ancelotti vom FC Bayern überzeugt. Bayern ist der am seriösesten geführte Verein der Welt. Vor allem wenn man sieht, was teilweise in Madrid, Paris oder Manchester los ist. Bayern agiert mit Kopf und Hirn und ist deshalb anderen Vereinen überlegen, die wirtschaftlich noch besser aufgestellt sind.
Ancelotti lobte zuletzt, dass seine Vorgesetzten nun erstmals Ex-Spieler seien.
Das ist ein Vorteil. Bei Bayern hat man Entscheidungsträger, die aus dem Bereich kommen und Fußball nicht als Spielzeug sehen, sondern als Liebe.
Wird sich der Spiel-Stil unter Ancelotti verändern?
Ich glaube, dass der FC Bayern ein bisschen nach hinten rückt, nicht immer nur vorne attackiert, sondern den Gegner ein wenig atmen lässt. Ancelotti verspricht sich davon, bei Ballgewinn mehr Räume in der Offensive zu haben.
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Auch er dürfte am Champions-League-Titel gemessen werden, oder?
Das sind nur Nuancen, Guardiola war schon nah dran. Gegen Atlético hat ihm das nötige Glück gefehlt, im Jahr davor gegen Barcelona hat er vielleicht falsch aufgestellt. Den Gewinn der Champions League kann man nicht planen. Aber natürlich geht man beim FC Bayern davon aus, dass man den Titel in naher Zukunft wieder gewinnen wird.