An die Ferngläser!

MÜNCHEN - Die Bayern zeigten mal wieder, wie es um ihr Betriebsklima bestellt ist. Auf dem Trainingsplatz begann Podolski eine fröhliche Rauferei mit Konditionstrainer Komes. Und aus dem Zuschauerkreis trat van Bommel hervor und bespritzte die herumbalgenden Kollegen mit Wasser.
Es war eine Demonstration bester Laune. Fast so, als sei die Arbeit längst erledigt und das Vergnügen hätte begonnen. Stimmt ja auch irgendwie. Seit Samstag, seit dem souverän abgespulten 2:0-Sieg gegen Aufsteiger Karlsruhe und der gleichzeitigen 3:6-Klatsche von Verfolger Bremen in Stuttgart haben die Bayern auf Werder bereits sieben Punkte Vorsprung. Da darf man sich schon mal so ausgelassen benehmen wie auf einer Meisterfeier. Wer zweifelt jetzt noch daran, dass die Bayern die Schale holen? Nicht mal der erfahrene Oliver Kahn (38): „Das Gefühl habe ich bei unserer Mannschaft nicht“, stellte der Torwart fest. Glückwunsch zur 21. Meisterschaft.
Jetzt also tritt ein, wovon Uli Hoeneß schon zu Saisonbeginn geträumt hat: Die Konkurrenz werde die weit enteilten Bayern mit dem Fernglas suchen müssen, hatte der Manager erklärt. Nach dem Sieg über den KSC kündigte Hoeneß lächelnd an: „Wenn der Traum wahr wird, werde ich mich um ein Fernglas bemühen.“
Auch für die Titelrivalen gilt: An die Ferngläser! Bayerns ehemaliger Meistertrainer Udo Lattek gratulierte gestern bereits im DSF: „Der Uli wird’s ungern hören, aber die Bayern sind Meister. Da führt kein Weg mehr daran vorbei.“
Werder schenkt im Meisterkampf ab
Zumal Werder im Meisterkampf abschenkt. Manager Klaus Allofs: „Wenn man sechs Gegentore bekommt, braucht man über den Titel nicht zu reden. Das kann dann kein Thema sein. Meister wird man nur, wenn man sich entsprechend clever verhält.“ So clever wie die Bayern. „Wir sind nahe am Optimum“, sagt Kahn, „es ist im Moment schwer, gegen uns was zu holen. Wir haben in allen Wettbewerben alle Chancen.“ Zum Abschied von Ottmar Hitzfeld drei Titel in Liga, DFB-Pokal und Meisterschaft, das wäre ein Klubrekord. Der gegenwärtige Erfolg ruht auf mehreren Säulen:
Franck Ribéry: „Der war überall, der ist überragend“, staunte Karlsruhes Kapitän Maik Franz. Der 24-Jährige spielt noch stärker als in der Hinrunde (siehe auch die nachfolgenden Seiten). Kahn witzelte über Ribéry: „Wäre das ein Computerspiel, würde man sagen: ,Next stage.’“ Die nächsthöhere Spielstufe also.
Luca Toni: Der Mann für alle Tore, besonders die schwierigen. „Einen Stürmer zeichnet aus, auch aus einer aussichtslosen Situation ein Tor zu erzielen“, sagte er. Siehe sein 1:0 gegen Karlsruhe, das er im Stile Gerd Müllers erzwang.
Die Gelassenheit: „Wir sind stabiler in der Rückrunde“, stellte Trainer Ottmar Hitzfeld fest, „in der Hinrunde hatten wir Euphorie, aber auch sehr viele Showeinlagen, das hätte sich auch rächen können. Wir haben jetzt mehr Klasse.“ Dieses Bewusstsein schafft Ruhe.
Das Hitzfeld-System: Egal wie der General rotiert, es klappt derzeit immer. Miroslav Klose: „Der Trainer hat das Gespür dafür, wen er bringen kann. Das macht schon Spaß.“
Der Betriebsfrieden: „Jeder gönnt’s dem anderen zu spielen“, sagt Marcell Jansen. Hitzfeld hat aus individuellen Stars ein Team geformt.
Anerkennung: Die Konkurrenz kapituliert, und die Fans sind begeistert. Sie feiern bei Auswechslungen ihre Stars mit Standing Ovations, das hat es in der Arena selten gegeben.
Thorsten Klein, Christian Paschwitz