92 Prozent Siegquote: Das famose erste Bayern-Jahr von Flick

München - Wir schreiben den 4. November 2019, einen Montag. Hansi Flick leitet erstmals eine Einheit als Cheftrainer des FC Bayern. Ob er es schon glauben kann? Plötzlich ist alles anders.
Ab ins Abenteuer, ab ins Rampenlicht. Er berichtete, wie schnell es gehen kann: "Ich war am Sonntagabend mit meiner Frau beim Abendessen. Dann erreichte mich ein Anruf von Brazzo. Er meinte, ich soll in einer Stunde im Büro sein."

Hansi Flick: "Ich möchte, dass die Mannschaft die Initiative ergreift"
Sportdirektor Hasan Salihamidzic bat den damals 54-Jährigen, nach dem verheerenden 1:5 bei Eintracht Frankfurt die Nachfolge des daraufhin entlassenen Niko Kovac anzutreten. Der Unsichtbare trat ins Licht. Einer, der gerne im Hintergrund arbeitet, wurde Knall auf Fall auf die hellste aller Lichtungen gestellt.
Es begann eine Reise ins Ungewisse, eine Fahrt unter Vorbehalten. Mit einem von den Bossen abgestempelten Kurzstreckenticket. Zwei Spiele auf Bewährung, in der Champions League gegen Olympiakos Piräus und drei Tage später gegen Dortmund. Auf seiner ersten Pressekonferenz bemängelte er, dass dem Team "Vertrauen in unsere Fähigkeiten" fehle. Seine Analyse traf den wunden Punkt: "Ich möchte, dass die Mannschaft die Initiative ergreift, nach vorne angreift, die Qualitäten mit Ball zeigt und den Ball erobern will."
Erst gewann Flick Vertrauen, dann Trophäen
Außerdem gab er dem von Kovac links liegengelassenen Thomas Müller eine Einsatzgarantie. Gute Idee. Derweil kursierten die ganz großen Namen der Trainerzunft an der Säbener Straße für die Nachfolge des Interimstrainers Flick: Mourinho, Wenger, Tuchel, Allegri, Rangnick oder ten Hag. Flick schien der geborene Co-Trainer, immerhin breitgefächert mit Erfahrung als DFB-Sportdirektor und (wenn auch nur für kurze Zeit) Geschäftsführer bei der TSG Hoffenheim. Im Juli 2019 unterschrieb er bei Bayern, rückte in Kovacs Trainerstab, in die ihm vertraute zweite Reihe.
Die Fahrt wurde: erste Klasse. Auf das 2:0 gegen Piräus folgte ein 4:0 gegen den BVB. Man sprach Flick salami-artig das Vertrauen aus. Erst bis Weihnachten, dann bis Saisonende. Im Frühjahr folgte die Vertragsverlängerung bis 2023. Erst sammelte er Sympathien ein, dann Siege.
Erst gewann er Vertrauen, dann Trophäen. Im Frühsommer das Double, im August mit dem Champions-League-Triumph das Triple, im Herbst das Quintuple. Flick, einst stets die zuverlässige rechte Hand, wurde nun auf Händen getragen. Auch als er von allen in den Himmel gelobt wurde, verlor er nie den Bodenkontakt.
FC Bayern trifft 3,33 Mal pro Spiel, kassiert nur 0,85 Gegentore pro Partie
Seine Siegesserie ist nicht von dieser Welt. Mit dem 6:2 in Salzburg hat Flick nun 44 seiner 48 Spiele in Verantwortung gewonnen, in der Königsklasse sämtliche elf Partien, zu denen er angetreten ist. Nur noch ein Erfolg fehlt ihm zur ewigen Rekordmarke von Jupp Heynckes, seinem ehemaligen Trainer, Vorbild und Mentor, der 2013 zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte das Triple gewonnen hatte. Flick hat eine atemberaubende Siegquote von 92 Prozent. Und mit 2,63 Zählern pro Partie den besten Punkteschnitt eines Bundesliga-Trainers aller Zeiten, der mindestens 25 Spiele an der Seitenlinie stand. Kein Wunder, denn: Sein Team trifft 3,33 Mal pro Spiel, kassiert nur 0,85 Gegentore pro Partie.
Er selbst wimmelt Fragen zu diesen Rekordquoten ab. "Ich lebe nicht in der Vergangenheit. Es gilt das Hier und Jetzt zu genießen", sagte er in Salzburg: "Klar, wir waren sehr erfolgreich, und die Arbeit mit der Mannschaft, aber auch mit meinem Staff hat mir sehr viel Spaß gemacht in der Zeit." Aktuell ist sein Team wieder auf Kurs. Am Samstag steigt in Dortmund der deutsche Clásico, der BVB fordert die punktgleichen Bayern zum ewig süßsauren Duell um die Tabellenspitze. Gewinnen die Flick-Bayern könnte man der Konkurrenz vor der dritten Saison-Unterbrechung durch die Länderspiele zeigen, dass nichts zu holen sein wird. Das erneute Triple ist in der Mache.
Und mit Blick auf die vergangenen Jahre ist noch etwas erstaunlich: Mit Flick erlebte Bayern anno 2020 keine Herbstkrise, die sonst so zuverlässig daherkam wie ab September Lebkuchenverkäufe in den Supermärkten.