„Fabian lernt das Verlieren“
Eberhard Gienger, einst Weltmeister am Reck und nun für die CDU im Bundestag, über das Turnen, die Politik und eine fehlende Geste von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Von Florian Kinast
AZ: Herr Gienger, an diesem Dienstag hat Fabian Hambüchen am Reck seine letzte Chance auf Gold in Peking. Bisher leistete er sich völlig ungewohnte Patzer. Ist der Druck zu groß?
EBERHARD GIENGER: In der Vergangenheit hat er oft gezeigt, dass er mit Druck gut umgehen kann. Sie dürfen nicht vergessen, dass er eine Kapselverletzung am Finger hatte. So etwas verunsichert. Wenn er sauber durchturnt, kann er aber in jedem Fall eine Medaille holen.
Früher schien ihn gerade seine Unbekümmertheit stark zu machen. Jetzt scheint er allerdings an der Last des Favoriten geradezu zu zerbrechen.
Im Spitzensport muss man lernen, mit beidem umgehen zu können, mit Sieg und mit Niederlage. Fabian lernt gerade das Verlieren. Man muss auch mal das Gefühl haben, mit der Nase mal am Boden zu liegen. Dann wieder aufzustehen, das macht einen großen Athleten aus. Das hilft der Persönlichkeitsentwicklung. Auch wenn diese Erfahrung bei Olympia bisher schmerzhaft war, für sein Leben ist es ein Gewinn.
Bisher schien ihm alles so leicht zu fallen. Vielleicht zu leicht?
Bisher ging es nur nach oben. Aber wenn man oben ist, auf dem Sockel steht, ist es schwerer, die Position zu halten. Mit Siegen umzugehen ist wesentlich schwerer als mit Niederlagen, weil man manchmal nicht merkt, wie man abhebt und die Bodenhaftung verliert. Bei Fabian sind keine solche Tendenzen zu erkennen.
Ist er also zu früh in die Vermarktungsmaschine geraten? Er ist erst 20, aber bereits Werbekrösus – dank nun schon zehn persönlicher Sponsoren.
Nein, ich finde, das macht er noch sehr gut. Sein Manager Klaus Kärcher ist keiner, der jedem Euro hinterherläuft. Fabians Fokus liegt auf dem Sport. Das war bei mir genauso. Die Erwartung, die man an sich selbst hat, ist bei ihm so wie bei mir. Der Druck, die Anspannung. 1976, beim Finale in Montreal, da war ich so nervös, da konnte ich mein Herz durch mein Trikot schlagen sehen: Poff, poff. Der Unterschied zu damals ist natürlich, dass wir in den Siebzigern wegen der IOC-Statuten nicht die Möglichkeiten zur Vermarktung hatten.
Bleiben wir doch bei Unterschieden von damals zu heute. 1973 waren Sie das erste Mal in Peking, zu einem Länderkampf gegen China, wie hat sich das Land denn aus Ihrer Sicht verändert?
1973 und 2008, das ist wie Tag und Nacht. Ich empfinde das als unglaublichen Fortschritt. Damals war auf dem Weg vom Flughafen in die Innenstadt kaum Licht, nur funzlige Lampen. Ich werde das nie vergessen. Die Leute, die in der Stadt auf kleinen Hockern vor ihren Häuschen saßen, alle uniform gekleidet. Wie sie neugierig waren, uns angeschaut haben, als kämen wir von einem anderen Stern. Viele Fahrräder, kaum Autos auf der Straße, nur entsetzliche laute Lastwagen.
Und wie empfinden Sie Peking heute?
Mehr wie eine westliche Metropole als eine kommunistische Diktatur. Ich glaube, dass die Öffnung Chinas auch durch Olympia weiter vorangebracht wird, auch wenn schwer zu sagen ist, ob wirklich eine Demokratie westlicher Prägung kommen wird. Wenn ich sehe, wie schwierig es ist, ein 80-Millionen-Volk wie die Deutschen unter einen Hut zu bekommen, wie viel schwerer ist es dann mit 1,3 Milliarden, wo die Unterschiede zwischen den Völkern größer sind als zwischen, sagen wir, Schweden und Italienern?
Das klingt ja fast nach einer Verteidigungsrede für das KP-Regime. Und das aus dem Mund eines CDU-Bundestagsabgeordneten.
Keineswegs, die vielfältigen Probleme Chinas sind ja offenkundig und auch von mir in den vergangenen Wochen immer wieder angesprochen worden. Doch schauen Sie, auch die Regierungen früherer Jahre haben Länder wie zum Beispiel die Sowjetunion anerkannt und mit ihnen Handel getrieben, auch wenn klar war, dass das keine Demokratie war. Auch mit dieser Staatsform hat man Wege eines Dialogs gefunden. Deswegen wird nicht alles gut geheißen.
Eine Frage an den christdemokratischen Bundestagsabgeordneten: Wie viel CDU steckt denn in Chinas KP?
Das einzige, was auch nur annähernd eine Gemeinsamkeit wäre, ist, dass beide Parteien in der Regierungsverantwortung stehen.
Im Gegensatz zu China kann man sich in einer Demokratie auch an den Fehlern des Gegners weiden. Für Ihre Partei ist es also sicher unterhaltsam, der SPD zuzusehen, wie sie sich gerade selbst zerfleischt.
Das finde ich gerade schade. Ich hätte lieber eine starke SPD. Ein starker Gegner ist in einer Demokratie nur zu begrüßen.
Hätten Sie es denn auch begrüßt, wenn Frau Merkel wie Sie nach Peking gefahren wäre und an der Eröffnungsfeier teilgenommen hätte?
Ich hätte es gerne gesehen, ja. Es wäre schön gewesen, als Geste gegenüber dem Gastgeberland. Aber ich muss ihre Gründe respektieren.
Immerhin sind die Sportler da, nachdem kurz nach der Tibet-Krise im März schon ein Boykott angedacht war.
Ich habe das 1980 am eigenen Leib erfahren, wie das ist, wenn die Politik den Sport als Instrument einsetzt – als der Westen die Spiele von Moskau boykottiert hat wegen des Sowjet-Einmarschs in Afghanistan. Die Ziele, die Invasion damit rückgängig zu machen, wurden nicht erreicht, selbst der damalige Kanzler Helmut Schmidt hat später eingeräumt, dass der Boykott ein Fehler war.
Sie meinen, ein Boykott wäre auch jetzt wirkungslos gewesen?
Ja. Nur so lernen die Sportler und die Besucher aus aller Welt doch China erst kennen. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, erst dann über ein Land und die Menschen zu sprechen, wenn man sie selbst kennengelernt hat. Ich kann nur jedem empfehlen, sich selbst zu erkundigen, bevor man den Stab bricht. Wir hätten viel weniger Probleme, Auseinandersetzungen und Kriege auf dieser Welt, wenn die Menschen wüssten, wie Menschen anderer Rassen, Religionen und Ideologien sind und warum sie so sind. Wenn man weg geht von den Pauschalurteilen. Die Engländer, die Franzosen, die Deutschen, die Chinesen. Diese Spiele tragen bei zur Völkerverständigung, das führt zu mehr Verständnis für den anderen. Und mehr Verständnis kann zu mehr Frieden auf dieser Welt führen.
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