Ex-Bundestrainer Heiner Brand im AZ-Interview: So sieht er Deutschlands Chancen bei der Handball-WM
München - Heiner Brand (64) war von 1997 bis 2011 deutscher Handball-Bundestrainer. Er führte das DEB-Team 2004 zum EM-Titel und 2007 bei der Heim-Weltmeisterschaft zum Triumph.
AZ: Herr Brand, als Deutschland 201nd 2016 Europameister wurde, lagen Sie am Pool eines Kreuzfahrtschiffs in der Karibik. Wie verfolgen Sie nun die Handball-WM in Frankreich?
HEINER BRAND: (lacht) Ich weiß es noch nicht genau. Die WM wird ja jetzt übers Internet übertragen. Ich habe mir Handball eigentlich noch nie im Internet angeschaut. Von daher weiß ich noch nicht, wie ich es mache, ob ich vielleicht für ein paar Spiele hinfahre. Das ist alles noch offen.
Sie sehen es also kritisch, dass die WM nur über einen von der Deutschen Kreditbank, dem Sponsor des DHB und der Handball-Bundesliga, finanzierten Stream zu sehen ist?
Da werden sicherlich nicht so viele Leute schauen wie im Free-TV oder bei Sky. Das ist eine Notlösung. Es ist ja auch schon angemahnt worden, dass da das Korrektiv des Journalismus fehlt. Viele Handballfans werden sich sicher trotzdem freuen, dass es überhaupt zu einer Lösung gekommen ist.
Wer überträgt? - So schauen Sie die Handball-WM
Trauen Sie der deutschen Mannschaft zu, Sie und ihr Team von 2007 nun als bislang letzte deutsche Handball-Weltmeister abzulösen?
Die Möglichkeit ist da. Die beiden Turniere im vergangenen Jahr (EM-Titel und Bronze bei Olympia, d. Red.) haben das gezeigt. Die Altersstruktur der Mannschaft ist gut. Es sind junge Spieler, die sich sportlich noch steigern werden, aber schon das notwendige Selbstvertrauen haben. Man kann im Vorfeld keine Goldmedaille garantieren, aber es spricht alles dafür, dass sehr gute Chancen bestehen.
Was wird dazu während des Turniers nötig sein?
Klar, ist ein guter Start schön. Aber auch bei der EM 2016 verlor das deutsche Team zum Auftakt gegen Spanien und war sogar schon fast auf dem Nachhauseweg, als es gegen Schweden zurücklag. 2004 sind wir auch schlecht gestartet und dann noch Europameister geworden. Irgendwann im Laufe des Turniers kommt so ein Knackpunkt. Da fühlt man sich entsprechend stark und zieht das dann durch. 2007 war das bei uns das Hauptrundenspiel gegen Slowenien. Von da an glaubte die Mannschaft an sich. Um Titel zu gewinnen, braucht man aber auch Glück.
Für Dagur Sigurdsson wäre der WM-Titel der perfekte Abschied als Bundestrainer. Glauben Sie, diese Thematik könnte sich auf die Spieler auswirken?
Die Mannschaft will Erfolg haben, unabhängig davon, wie lange Dagur noch dabei ist. Das wird die Spieler während dem Turnier gar nicht beeinflussen. Auch Dagur ist Profi und will Erfolg haben. Eine gewisse Abschiedsstimmung wird erst nach der WM aufkommen.
Handballer ohne Kapitän Gensheimer zur WM
Ist Sigurdssons Entscheidung, den DHB nach der WM zu verlassen und Nationaltrainer Japans zu werden, für Sie nachvollziehbar?
Ich sehe ein riesengroßes Potenzial im deutschen Handball. Wir sind aktuell so gut und breit aufgestellt wie noch nie. Daher kam seine Entscheidung für mich überraschend. Ich hätte gedacht, dass er mit diesem Team noch weiter Erfolge sammeln will. Jetzt hat er seine Ausstiegsklausel aus seinem Vertrag genutzt. Das ist legitim. Ich kenne die Gründe nicht, ob es Konflikte gab, ob es am Geld lag oder an seiner Lebensplanung. Nachvollziehen kann ich seine Entscheidung nicht, aber man muss sie akzeptieren und respektieren.
Sehen Sie Probleme auf den DHB zukommen? Der jüngste Erfolg war ja vor allem mit seinem Namen verknüpft.
Der ist schon mit Dagur verbunden. Aber wir haben eine so gute Situation mit so vielen jungen Spielern, die schon gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen. Die Zukunft wird also sicherlich weiter Erfolge bringen. Ich gehe davon aus, dass die deutsche Mannschaft bei den nächsten Turnieren immer oben dabei sein wird.
Sie waren von 1997 bis 2011 14 Jahre lang Nationaltrainer.
Vierzehneinhalb, ja.
Ist so etwas in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich?
Beim Bundestrainer ist die Gefahr der Abnutzung nicht so da wie bei einem Vereinstrainer, der täglich mit seiner Mannschaft zusammenarbeitet. Wenn alles passt, ist so etwas sicher auch heute noch möglich.
Die Bilder von 2004 sind legendär, als Ihnen nach dem EM-Titel der Schnauzbart abrasiert wurde. Würden Sie ihn aktuell noch einmal für einen deutschen Titel verwetten?
Nein, warum sollte ich irgendetwas für einen deutschen Titel verwetten? Das Thema ist durch. Mit meinem Bart muss man keine Späße mehr machen. Das sollen andere tun.
Andreas Wolff, der Sie 2016 als Bartträger des Jahres 2007 beerbte, könnte das. Ist er ein würdiger Nachfolger?
Es gab ja schon eine ganze Reihe an Nachfolgern aus dem Sport oder der Musik. Aber er ist schon auch ein guter.
Er hat auch geholfen, dem deutschen Handball wieder ein Gesicht zu geben, oder?
Er war als dominierende Figur im Tor schon mit ausschlaggebend. Aber insgesamt waren es die ganze Mannschaft und ihr Trainer, die gezeigt haben, dass der deutsche Handball wieder erstklassig ist. Das hat dem deutschen Handball sehr gutgetan.
Tippen Sie nun auch auf Deutschland als Weltmeister?
Ich tippe darauf, dass sie unter die letzten Vier kommen. Was dann passiert, weiß man nie.
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