"Erwachsen werde ich wohl nie"

"Ich hoffe auf eine Sensation. Ich würde den Spanier den Erfolg gönnen, die laufen dem schon ewig hinterher. Da wäre ich echt neidlos." Campino über England, die EM und Angela Merkel.
von  Abendzeitung
Campino, Sänger der Toten Hosen.
Campino, Sänger der Toten Hosen. © az

"Ich hoffe auf eine Sensation. Ich würde den Spanier den Erfolg gönnen, die laufen dem schon ewig hinterher. Da wäre ich echt neidlos." Campino über England, die EM und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

AZ: Hallo, Campino, die Alpen-EM ist in vollem Gange, Deutschland steht im Halbfinale, da muss man ja mal nachhören, wie es mit der Sportverletzung bei einem der bekanntesten Fußball-Fans der Nation, auch wenn sein Fußballherz für Englands schlägt, bestellt ist.

CAMPINO: Ganz ehrlich, ich könnte mich den ganzen Tag lang selber ohrfeigen! Und ich frage mich, warum man, warum ich, in gewissen Dingen eigentlich nie erwachsen werde. Mich ärgert das richtig. Ich war in London, und mein Verein, der FC Liverpool, ist gegen Chelsea in der Champions League tragisch ausgeschieden. Dann habe ich nach einem großen, höher prozentigen Glas Cidre die Wut des gesamten Abends gebündelt. Ich habe dann mit aller Kraft meinem Unmut Ausdruck verlíehen und habe gegen eine Mülltonne getreten.

Muss ein Hammer wie der Freistoß-Torpedo von Ballack gegen die Deutschen gewesen sein, der Haxn war ab.

Die Mülltonne war leider aus Stahlbeton. Ich habe sogar gehört, wie es geknackst hat. Erst hoffte ich, dass es nur eine Verstauchung ist.

Wie bei Frankreichs Ribéry, der ja dann doch nicht den befürchteten Unterschenkelbruch hatte.

Aber die Hoffnung hat sich nicht bestätigt. Die Diagnose vom Arzt: Ein sauberer Mittelfußbruch. Das einzig nette war, dass der Knochen nicht gesplittert ist. Aber alles in allem wird es zwölf Wochen dauern, bis wieder alles in Ordnung ist. Sehr ärgerlich, da ich ja gerade erst wegen eines Meniskusrisses aus der Reha gekommen bin.

Und wie erlebt der England-Fanatiker die EM? Hat er den Schock der Nichtteilnahme eigentlich schon überwunden?

Ehrlich gesagt, kann ich da nur von völlig erleichterten Gefühlen berichten. Ich habe mir manchmal vorgestellt, ich müsste in Linz am Bahnhof sitzen und die Schweiz oder Portugal hätte England aus dem Turnier gekegelt. Ein Horror, aber ein durchaus vorstellbares Szenario. Mit McClaren als Nationaltrainer hätte das Team sowieso nichts erreicht. Und ich, ich wäre trotzdem wieder wie ein Lemming gefolgt und müsste mich dann – irgendwo in der Provinz sitzend – ärger. So, dadurch, dass wir gar nicht dabei sind, kann ich mich endlich mal bei so einem Turnier total frei machen. Ich habe Ferien gebucht, die ich mit meinem Sohn in Spanien verbringe.

Und das Drama, ganz traditionell im Elferschießen auszuscheiden, das spart man sich auch.

In England gibt es immer einen Quotentrottel, einen, der, obwohl er begnadet ist, einen Blackout hat. So wie David Beckham bei der WM 1998 gegen Argentinien damals mit seinem foul. Er hat damals alle Chancen, Weltmeister zu werden, kaputt gemacht. Es gibt dauernd solche Momente im englischen Fußball. oder nehmen Sie Paul Gascoigne. Ich habe mich anfangs maßlos über seine Eskapaden geärgert, weil er wirklich sein Talent weggeworfen hat. Der Mann war ein Genie auf dem Platz. Und dann bricht er sich in einer Kneipe ein Bein. Wie kann man nur so ein Idiot sein.

Einspruch, da fällt uns noch jemand ein.

Okay, mein Fußbruch war ähnlich dämlich, aber aber ich spiele auch nicht in der Nationalmannschaft.

Wer symbolisiert für Sie englische Fußball-Tugenden? Ein Lampard, ein Rooney?

Steven Gerrard. Die anderen beiden sind Pfeifen!

Was halten Sie von Ballack, der ja nach England zu Chelsea gewechselt ist.

Er hat dazugelernt. Aber er spielt für den falschen Verein, deswegen muss ich mir Kommentare verkneifen. Aber ich denke, man hat ihm Unrecht getan, ihn so zu dissen. Aber man schießt auch über das ziel hinaus, jetzt zu behaupten, er sei ein Großer. Außerdem war er schuld, dass Leverkusen damals Liverpool aus der Champions League geschossen hat, unser Verhältnis ist daher belastet.

Zu wem halten Sie bei der EM jetzt?

Ich hoffe auf eine Sensation. Ich würde den Spanier den Erfolg gönnen, die laufen dem schon ewig hinterher. Da wäre ich echt neidlos. Und für mich sind die Österreicher echte Sympathieträger. Wer so einen Film, wie das satirische „Wunder von Wien" im Vorfeld dreht, der ist für mich eh schon der Europameister der Herzen.

Froh werden Sie sein, dass ihr spezieller Freund Otto Rehhagel schon draußen ist.

Wir saßen bei einem England-Spiel zufällig im Stadion beieinander. Dann hat er angefangen, mir zu erklären, warum die Engländer so schlecht sind und wieso das selbstverständlich ist. Wenn deine eigene Mannschaft hinten liegt und dann sitzt so ein Klugscheißer hinter dir und redet dir die ganze Zeit in den Nacken, das war echt unerträglich!

Und die Deutschen?

Deutschland als Europameister, das kann ich mir irgendwie nur schwer vorstellen, aber ich lasse mich überraschen.

Was halten Sie denn vom Fahnenmeer auf den wohlgepflegten deutschen Autoflotten?

Ich habe das bei der WM überhaupt nicht als schlimm empfunden und von Nationalstolz sollte man da auch nicht reden. Es ist befreiend, auch mal ein unkritischer Fan. Das ist völlig legitim. Dieser unverkrampfte Umgang, mit dem Fähnchen, die dann wieder weggeräumt werden, wenn die Party vorbei ist, das ist in Ordnung. Es war ein beweis, dass unser Land, Gott sei Dank, immer souveräner wird. Und ich sehe auch nicht die Gefahr, dass jemand hier unsere spezielle Geschichte vergisst, nur, weil er ein Fähnchen schwenkt.

Und was sagen Sie zu unserem berühmtesten Nationalelf-Groupie? Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Wenn sich Rock- und Popbands zu Groupies entwickeln und jeder einen EM-Song produziert, warum sollte die Politik nicht ähnlich agieren? Das ist natürlich populistisch, die Sache ist aber so augenfällig, dass die Menschen doch eigentlich nicht darauf reinfallen können. Auf der anderen seite fallen Frauen immer wieder auf einen noch so tölpelhaften Blumenstrauß rein. Vielleicht bin da kein richtiger Menschenkenner. Wenn Frau Merkel das braucht und glaubt, so Volksnähe auszustrahlen, soll sie das tun. Und mit Verlaub: Wenn ich als Spieler einen wichtigen Ball versemmelt haben und danach käme Bundeskanzlerin Angela Merkel um mir zu sagen, ich solle den Kopf nicht hängen lassen ... Das geht doch hier rein und dort raus.

Interview: Matthias Kerber/Georg Kleesattel

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