Erhard Wunderlich: "Genie, Phänomen, prima Kerl"

Der frühe Tod von Erhard Wunderlich erschüttert Handball-Deutschland. Der TSV Milbertshofen hatte mit ihm seine beste Zeit. Hier erinnern sich Vlado Stenzel und andere Macher des Vereins.
Thomas Becker |
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Der Gerd Müller des Handballs – nicht nur weil er die Nr. 9 trug: Erhard Wunderlich spielte 1984-89 im Dress des TSV Milbertshofen.
Imago Der Gerd Müller des Handballs – nicht nur weil er die Nr. 9 trug: Erhard Wunderlich spielte 1984-89 im Dress des TSV Milbertshofen.

Der frühe Tod von Erhard Wunderlich erschüttert Handball-Deutschland. Der TSV Milbertshofen hatte mit ihm seine beste Zeit. Hier erinnern sich Vlado Stenzel und andere Macher des Vereins.

Vlado Stenzel spricht aus, was alle denken: „Niemand wusste, dass er todkrank ist – wie kann das passieren?“ In der Tat: Die Meldung, dass Erhard Wunderlich am Donnerstag um 10.30 Uhr im Kölner St. Hildegardis Krankenhaus an Krebs starb, kam für alle überraschend. Seine zweite Frau Pia, mit der er in Bensberg im Bergischen Land lebte, sagte: „Er hatte einen unbändigen Willen und wie ein Löwe gekämpft. Aber es war zu spät.“

Zwei Operationen am Bauch hatte er in Bonn über sich ergehen lassen, am 7. September wurde er erneut in die Klinik eingeliefert, nachdem er in Schottland im Urlaub war. Wunderlich, der nur 55 Jahre alt wurde, starb an einem malignen Melanom, einem schwarzen Hautkrebs, der zu den bösartigsten Tumoren zählt. Auf ähnliche Weise starb vor zwei Jahren Nationalspieler Oleg Velyky mit nur 33 Jahren. Am Freitag wurde der Leichnam Wunderlichs in seine Heimatstadt Augsburg überführt. Dort soll er beerdigt werden.

Der 78-jährige Stenzel, der in Wiesbaden lebt und nebenbei im Leistungszentrum Budenheim immer noch als Trainer arbeitet, berief 1976 den damals 20-jährigen Erhard Wunderlich, den alle nur Sepp nannten, in die Nationalmannschaft – zwei Jahre später wurde das DHB-Team erstmals Weltmeister. „Ohne den Sepp hätten wir das nicht geschafft“, sagt Stenzel, „er war zwar der Jüngste, aber fast der Wichtigste.“ Und das in einem Team mit Jo Deckarm, Heiner Brand, Kurt Klühspies, Manfred Hofmann und Arno Ehret.

„Der Sepp war ein Genie“, schwärmt Stenzel, „Größe: 2,04 Meter – aber so eine gute Technik! Sein Anspiel aus vollem Lauf: enorm stark. Das kennt man heute gar nicht mehr, so was kann höchstens noch der Kroate Ivano Balic. Einen so vielseitigen Spieler wie den Sepp habe ich nie mehr gesehen.“

Zwölf Jahre nach dem WM-Triumph trafen sie sich wieder – auf der Bank des TSV Milbertshofen: Stenzel als Trainer, Wunderlich als Manager und Betreuer. „Das hatte sich der Backeshoff so ausgedacht“, erzählt Stenzel. Der Name Ulrich Backeshoff steht für das schillerndste Kapitel Münchner Handballgeschichte. 1984 hatte der umtriebige Geschäftsmann Wunderlich vom FC Barcelona weggelockt – in die 2.<TH>Liga. „Backeshoff war Macher und Mäzen bei Milbertshofen“, erinnert sich Gerhard Ochsenkühn, der den TSV damals trainierte, „Backeshoff hat Wunderlich einen Job in seiner Computerfirma versprochen, für die Zeit nach dem Handball. So kam Sepp nach Milbertshofen: eine Entscheidung für die Familie. Das zweite Kind war unterwegs.“

Im Jahr darauf gelang der Aufstieg in die Bundesliga: Die große Zeit des TSV Milbertshofen begann, auch dank der Strahlkraft des Teamplayers Wunderlich. „Ein knallharter Profi, aber auch ein unheimlich geselliger Typ“, erinnert sich Ochsenkühn, „was hatten wir mit dem für eine Gaudi am Tisch! Beim Trainingslager im Brixental hat er fast den Alleinunterhalter gegeben.“ Auch Günther Wagner, viele Jahre Abteilungsleiter der TSV-Handballer, schwärmt: „Der war einmalig! Ein Genie. Ein Phänomen, auf dem Feld und außerhalb. Er hat sich nie anmerken lassen, dass er eine Ausnahmeerscheinung ist, war geerdet, mit beiden Beinen am Boden, hat sich eingefügt, sein Bestes gegeben. Ein prima Kerl. Davon gibt’s nicht so viele.“

Doch dann ging Backeshoff das Geld aus, die TSV-Handballer meldeten 1993 Insolvenz an, und „der Gesamtverein leidet heute immer noch unter den Folgen“, klagt Ex-Trainer Ochsenkühn, „der Backeshoff darf sich hier nicht mehr blicken lassen.“ Tat er auch nicht. Auch der Kontakt zu Wunderlich brach ab. Jedes Jahr trommelt Ochsenkühn die TSVler zum Ehemaligen-Treff zusammen – Wunderlich kam nie. Er versuchte sich fortan als Geschäftsmann. „Er hatte ja keine besondere Ausbildung“, sagt Trainer-Magier Stenzel, „hat aber immer gute Geschäfte gemacht – wegen seiner Bauernschläue.“

In Seeshaupt betrieb der gelernte Elektromechaniker in den 90ern eine Firma für Büroausstattung, er heiratete ein zweites Mal, führte die „Villa Wunderlich“ am Mondsee, ehe er ins Bergische Land übersiedelte. Auch bei den alljährlichen Treffen der 78er-Weltmeister ließ er sich nur einmal blicken, erzählt Stenzel: „Dabei hatte ich ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Doch er wurde zum Einzelgänger, obwohl er ein sehr aufgeschlossener Mensch war.“ Zum letzten Mal sah er seinen Ex-Schützling vor drei Jahren am 75. Geburtstag: „Er kam einen Tag später, mit einer sehr großen Flasche Champagner – er hatte immer Stil.“

Noch im Juli nahm Wunderlich in Landshut wie in vielen Jahren zuvor am Golfturnier der Erich-Kühnhackl-Stiftung teil. Fotos zeigen ihn gut gelaunt, scheinbar gesund. Er trug einen Pullunder mit der Aufschrift: „Handballfriends - Golden Hands für Deutschland“, eine Initiative zur Förderung des Nachwuchses. Sie muss ohne ihn auskommen. Ohne den Mann mit den goldenen Händen.

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