„Er war ganz unten – das hat ihn gestählt“
Wladimir Klitschkos Trainer erklärt, wie der Weltmeister zu innerer Stärke gefunden hat
AZ: Herr Steward, Ihr Schützling Wladimir Klitschko, demonstrierte bei seinem beeindruckenden Sieg gegen Ruslan Chagaev seine Ausnahmestellung. Allein seine Körpersprache signalisiert – anders als früher – in jeder Sekunde: Ich bin der Herr im Ring.
EMANUEL STEWARD: Das stimmt, das ist eine Message, die Wladimir seinem Gegner sendet. Er steht schon vor Ende der Pausen wieder mitten im Ring, er sagt mit jeder Faser seines Körpers: Hier bin ich, ich bin bereit, mir kann keiner was. Und dazu noch diese unglaubliche Physis. Er hat einen Körper, als seine eine griechische Statue zum Leben erweckt worden.
Woher kommt dieses Selbstvertrauen?
Ich habe schon im Training gemerkt, dass Wladimir sich selbst gefunden hat. Alles, was er macht, kommt ganz natürlich. Früher haben wir etwas geübt und er hat es umgesetzt, jetzt kommt es von allein, er reagiert er im richtigen Moment auf die jeweilige Situation entsprechend. Er denkt nicht mehr; er handelt, weil es einfach aus ihm rausfließt. Dazu bewegt er sich mit der Geschwindigkeit einer großen Raubkatze. Genau so verhält er sich auch im Ring, er schneidet Fluchtwege ab, dann wartet er nur noch auf den perfekten Moment, zuzuschlagen. Phänomenal!
Wladimir hat eine innere Stärke, die er nicht immer hatte.
Ich muss dazu eine Geschichte erzählen. Nach Wladimirs Niederlage gegen Brewster gingen wir in New York City spazieren. Plötzlich kam ein Mann, ich denke, er war ein Crack-Junkie, auf uns zu. Und meinte: „Großer, dein Fight gegen Lennox Lewis war das Größte, was ich je gesehen habe.“ Wladimir sagt: „Vielen Dank, aber das war mein Bruder, nicht ich.“ Dann legt der Mann los. „Du bist der Bruder? Dieser Loser? Mann, du bist so scheiße, das kann ich gar nicht in Worte fassen. Emanuel, du darfst dich nicht mit so einem Typen abgeben.“ Wir waren auf dem Weg in ein Restaurant, er hat uns regelrecht verfolgt. Ich wollte ihm fast eine einschenken, aber Wladimir sagte: „Manny, lass, Da muss ich durch. Ich will das bewusst erleben. So wie ich mich jetzt fühle, will ich mich nie wieder in meinem Leben fühlen.“ Er hat diese Negativsterlebnisse genommen und sich damit motiviert, sie haben ihn zu dem gemacht, der er heute ist. Seine Stärke rührt daher. Er weiß, wie es sich anfühlt, ganz unten zu sein, das hat ihn gestählt. Da will er nie wieder landen.
Sie sprachen seine Niederlage gegen Brewster an. Das war Ihre erste Zusammenarbeit mit Wladimir. Schlechter hätte es gar nicht beginnen können. Mit einer Pleite, bei der Klitschko entkräftet über den Boden kriecht.
Die Ärztin im Ring hat seine Pupillen untersucht und nur gemeint, er muss ins Krankenhaus. Sofort! Er fällt ins Koma. Er konnte auf dem Weg dorthin nicht einmal sprechen. Ich dachte, er würde sterben. Vitali war in Tränen aufgelöst. Der Arzt hat Wladimir untersucht und wollte wissen, ob Wladimir Diabetiker ist, weil er nahe am Insulinschock war. Nur drei Stunden später war er wieder in Ordnung und hat uns selber nach Hause gefahren. Ich weiß, dass man Wladimir irgendetwas beigemischt hat. Nur können wir das nicht beweisen, weil ja alle Blut- und Urinproben wie von Geisterhand verschwunden sind.
Wie sehr erinnerte Sie das an Ihren langjährigen Boxer Gerald McClellan, der nach dem Fight gegen Nigel Benn ins Koma fiel und seitdem schwerst behindert ist?
Ich habe immer noch Probleme, darüber zu reden. Es war der allererste Kampf, nach dem wir uns getrennt hatten und er bei Don King unterschrieben hatte. Ich sah dann im Fernsehen, wie King über Gerald, um dessen Leben die Ärzte im Ring kämpfen, drübersteigt, zu Benn geht und mit ihm feiert. Gerald wurde ein großes Teil seines Gehirns entfernt, er ist blind, ist schwer behindert. Ich unterstütze ihn finanziell, und wenn ich ihn anrufe, fragt er gerne, ob ich ihn für den nächsten Fight wieder vorbereite. Er lebt in seinem Kopf noch in der damaligen Zeit.
Interview: Matthias Kerber
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