Endlich Party in Peking
Das Vogelnest ist zum Auftakt der Leichtathletik wieder voller Menschen – am Samstag ist Showdown über 100 Meter. Mit den Jamaikanern Usain Bolt, Asafa Powell und dem US-Star Tyson Gay.
Von Florian Kinast
Mit der Ruhe war es am Freitag dann vorbei, in der Früh um kurz nach halb neun. Urplötzlich aufgeschreckt von den ersten Durchsagen des Stadionsprechers, flatterten hunderte Nachtfalter durch das Olympiastadion. Nach einer Woche des Idylls, eine Woche nach der Eröffnungsfeier, hielten plötzlich wieder die Menschen Einzug im Vogelnest. Und das in Scharen, zum Beginn der Leichtathletik.
Als um neun die Siebenkämpferinnen über 100 Meter Hürden liefen, waren schon 70 000 im Stadion. Wenig später war das Stadion ganz voll. Es war endlich angerichtet, für die Party von Peking.
Eine Woche lang hatten Athleten in vielen Sportarten über die leeren Arenen geklagt und über zwangsverpflichtete Stimmungsmacher, die die leeren Plätze füllten. Doch gestern mussten bald selbst die Claqueure ihre Stühle räumen, im unteren Rang der Nord- und der Südkurve. Dass tatsächlich alle kamen, die Karten hatten, überraschte die Veranstalter.
Ebenso wie die Sportler. „Ich habe mir gedacht, wir sind hier am Vormittag mit den Kugelstoßern allein“, sagte Siebenkämpferin Sonja Kesselschläger, „dass jetzt schon so viele Leute da sind, ist irre. Ein prickelndes Gefühl.“ Angetan war auch Tobias Unger nach dem Vorlauf über 100 Meter. „Tolle Stimmung“, sagte er und meinte, dass er bald auch wieder 200 Meter laufen würde. Beim nächsten großen Höhepunkt des Leichtathletik-Kalenders. Im Winter, in Stuttgart. „Beim Sparkassen-Cup“, sagte er.
Aber da ist es noch lang hin. Erst mal geht Olympia für Peking so richtig los.
Selbst in ihrem täglichen Bulletin schrieben die Organisatoren ganz offenherzig, dass die bisherige Woche lediglich „warm up events“ gewesen seien. Kanuslalom und Bogenschießen, Wasserspringen und Pferdereiten, nur Vorgeplänkel für den wirklichen Höhepunkt Olympias, die Leichtathletik. Und wie bestellt zeigte sich gestern dann auch zum ersten Mal ein blauer Himmel.
Das Olympiastadion im Norden der Stadt gleich neben der Schwimmhalle, ein milder Fallwind von den Bergen, die erstmals seit zehn Tagen den Horizont bedeckten und darüber bizarr zerklüftete Föhnwolken.
Nie war Peking münchnerischer als gestern.
Die Stimmung erinnerte stark an die Leichtathletik-Europameisterschaft 2002. Nur dass damals nicht so viele Chinesen im Publikum waren.
Nun werden sie die ganze Woche den Höhepunkten entgegenfiebern. Dem 100-Meter-Dreikampf zwischen Asafa Powell, Usain Bolt und Tyson Gay am Samstagabend, oder dem 110-Hürden-Finale um Olympiasieger Liu Xiang, ihrem Helden. Viele Helden wird es zumindest bei den deutschen Leichtathleten freilich nicht geben.
Am ehesten noch Ariane Friedrich im Hochsprung am 23. August, die Speerwerferinnen Steffi Nerius und Christina Obergföll, einst als sichere Medaillenbank gehandelt, schwächeln in diesem Jahr, vielleicht noch die Stabhochspringer um Tim Lobinger und Danny Ecker. Das war’s dann wohl auch schon, die alten Glanzzeiten sind längst vorbei. Eine Vergangenheit, auf die Bundestrainer Jürgen Mallow freilich gar nicht so stolz sein mag. „Wenn wir da hin wollen, wo wir früher waren, dann müssen wir die Uhr zurückdrehen, die Mauer hochziehen und wieder dopen“, sagte der Coach gestern zur AZ über die alten DDR-Zeiten, nannte aber noch einen anderen Grund, und zwar, wenig überraschend, die heutige Jugend. „Die ist verweichlicht, zu faul, zu unsportlich“, und dass heute halt viel mehr Inlineskaten oder Snowboarden würden. Ohne Leistungsgedanke, trendiger Spaßsport.
Spaß hatte das Publikum gestern Abend natürlich auch ohne deutsche Sieger. Das Stadion restlos gefüllt, 90000 machten auf den Rängen die Welle, sahen die ersten Entscheidungen, die Männer im Kugelstoßen, dort triumphierte der Pole Tomasz Majewski, und die Frauen über zehn Kilometer.
Tobias Unger sahen sie auch, so richtig wahr nahmen sie ihn freilich nicht. Als Siebter flog er im Zwischenlauf raus, 10,36, chancenlos gegen die Weltspitze. Einen Wettbewerb hat er noch, mit der Staffel. Danach kann er sich endlich voll konzentrieren – auf den Sparkassen-Cup
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