Interview

Eisschwimmerin Wittig: "Der Körper führt einen permanenten Überlebenskampf"

Die Lehrerin Julia Wittig ist mehrmalige Weltmeisterin im Eisschwimmen. In der AZ spricht sie über die Macht der Kälte, extreme Schmerzen, Dankbarkeit beim Aufwärmen - und Hände wie Eisklumpen.
Matthias Kerber
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Eisschwimmerin und Warmduscherin: Die mehrmalige Weltmeisterin Julia Wittig.
Eisschwimmerin und Warmduscherin: Die mehrmalige Weltmeisterin Julia Wittig. © Stephanie Asenkerschbaumer/ho

AZ: Frau Wittig, Hand aufs Eisschwimmweltmeisterinnen-Herz, sind Sie privat Warm- oder Kaltduscherin?
JULIA WITTIG: (lacht) Warmduscherin. Wenn man so viel im kalten Wasser unterwegs ist, kann man sich daheim ruhig beim Duschen ausschließlich warmes Wasser gönnen.

Sie stehen wirklich auf und sagen sich: Heute ist ein guter Tag zum Eisschwimmen?
Ja. Gerade, wenn ich zum Fenster rausschaue und die Dächer sind schneebedeckt, hat das einen besonderen Reiz. Wenn es dazu richtig kalt ist, die Sonne scheint und man den blauen Himmel sieht, ist das für mich das Sahnehäubchen obendrauf. Das ist viel einfacher, als wenn es stürmisch ist, regnerisch, richtiges Schmuddelwetter.

 "In Sekundenbruchteilen übermannt einen die Eiseskälte"

Aber Überwindung kostete Sie es dann doch noch, oder?
Jedes einzelne Mal. Denn im Grunde genommen, will man sich dick einmummeln, vor der Kälte schützen. Als Eisschwimmer macht man das Gegenteil, man entledigt sich Kleidungsstück für Kleidungsstück und geht sogar ins Eiswasser. Das kostet Überwindung, das kann keiner leugnen. Man darf nie vergessen: In Sekundenbruchteilen übermannt einen die Eiseskälte. Der Kälteschmerz setzt sofort ein, das überlagert jedes andere Gefühl. Das kann man nicht schönreden, man kann den Schmerz nur annehmen.

Können Sie sich noch an Ihr erstes Mal als Eisschwimmerin erinnern?
Das war im Dezember 2014. Und ich war völlig unvorbereitet darauf, ich hatte noch nicht mal zuvor von Eisschwimmen gehört. Wir haben einen Bekannten, der das machte, getroffen - und ich habe es versucht. Ich hatte mich ja - anders als ich es jetzt tue - damals nicht ab Spätsommer, Herbst darauf vorbereitet, mich an die sinkenden Temperaturen gewöhnt. Ich bin rein und ein bisschen war es wie. . .

. . .die Vorstufe zum Sterben?
Ja, das stimmt schon. Man atmet aufgrund des Kältereizes automatisch flach und sehr schnell. Der Körper schaltet sofort auf Überlebenskampf. Er zieht umgehend alles warme Blut ins Körperinnere, damit die lebenswichtigen Organe ausreichend damit versorgt werden.

"Was mich am Eisschwimmen fasziniert, ist die unglaubliche Macht der Kälte. Der Schmerz ist so intensiv, man kann an gar nichts anderes denken", sagt Eisschwimm-Weltmeisterin Julia Wittig.
"Was mich am Eisschwimmen fasziniert, ist die unglaubliche Macht der Kälte. Der Schmerz ist so intensiv, man kann an gar nichts anderes denken", sagt Eisschwimm-Weltmeisterin Julia Wittig. © Stephanie Asenkerschbaumer/ho

Klingt alles sehr unangenehm und schmerzhaft.
Man merkt in dem Moment, wie unwichtig die Extremitäten zum Überleben sind. Die Zehen und Finger, die am weitesten vom Körperkern entfernt sind, schmerzen sofort am meisten. Die Gefäße ziehen sich zusammen, sie werden kaum durchblutet. Es ist sehr schwer, mit diesen Extremitäten koordinierte Schwimmbewegungen zu machen. Ich schwimme eigentlich mit Klumpen statt Händen, kann die einzelnen Finger gar nicht mehr spüren.

Eine für Sie sicher blöde Frage: Warum tut man sich das alles freiwillig an?
Ich mag Verrücktes und Extremes, das war bei mir immer so, das ist meine Persönlichkeit. Was mich am Eisschwimmen fasziniert, ist die unglaubliche Macht der Kälte. Sie überlagert alles. Man ist dermaßen im Hier und Jetzt, weil die Kälte gar keinen anderen Gedanken mehr zulässt, der Kälteschmerz ist so intensiv, man kann an gar nichts anderes denken. Bei anderen Sportarten kann man mal die Gedanken schweifen lassen, das geht hier nicht. Der Körper führt einen permanenten Überlebenskampf und das zwingt dich, völlig auf dich selbst, deinen Körper und die Kälte fokussiert zu sein. Das ist etwas sehr Einfaches - und sehr Schönes. Außerdem bleibe ich vor typischen Erkältungskrankheiten verschont und habe ein ausgezeichnetes Immunsystem.

Weiß man danach die einfachen Dinge des Lebens besser wertzuschätzen?
Ja, das kommt hinzu. Man darf auch nicht den Moment des Aufwärmens danach vergessen. Als Anfänger ist man ein paar Sekunden im Eiswasser, jetzt bin ich es etwa eine Viertelstunde. Das Aufwärmen dauert viel, viel länger. Hier in Burghausen, wo ich trainiere, steht eine Infrarotkabine, die ist so auf 50, 60 Grad vorgeheizt. Da gehe ich rein und der Körper erwärmt sich erstmal selber, indem er durch Muskelkontraktionen in Form von Zittern Wärme generiert. Auch das ist sehr schmerzhaft, aber wenn das so nach einer Viertelstunde vorbei ist und man merkt, wie die Wärme in den Körper reinkommt, ist das ein unbeschreibliches Gefühl. Wenn man sich auf seine Grundbedürfnisse besinnt, sich bewusstmacht, was es heißt, dass einem warm ist, dass man im normalen Leben nicht frieren muss, erfasst einen große Dankbarkeit. In dem Moment sage ich mir: Mein Gott, ist das Leben schön! Und das nur, weil ich nicht mehr frieren muss. Das sind unbezahlbare Momente.

"Wenn das Wärmezittern nicht kommt, ist es lebensgefährlich"

Ein bisschen Masochismus gehört aber dazu, oder?
Ich bin ein Freund davon, mal aus der Komfortzone rauszukommen. Wir alle werden immer bequemer, das geht schon damit los, dass wir für alles eine Fernbedienung daheim haben, fast schon nicht mehr aufstehen müssen, um Dinge zu erledigen. Wir alle wollen uns nur noch kuschlig einnisten. Daher finde ich es gut, auch mal was zu machen, für das man sich richtig überwinden muss. Diese Fähigkeit ist auch etwas, was mir in allen Lebenslagen zu Gute kommt.

Wenn man die Eisschwimmer sieht, die nach dem Wettkampf unkontrolliert zittern, ist der Anblick für Außenstehende aber eher verstörend.
Richtig. Aber es ist wichtig - und auch gut. Die Gefäße öffnen sich in dem Moment, das kalte und das warme Blut vermischen sich langsam wieder. Durch die Muskelkontraktionen versucht der Körper, sich selber zu erwärmen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn er dies von alleine macht. Dann weiß man, dass alles in Ordnung ist - auch, wenn es nicht danach aussieht. Wenn das Wärmezittern nicht kommt, ist es lebensgefährlich, dann braucht man sofort ärztliche Versorgung! Wir Eisschwimmer befinden uns ja oft in einer leichten Hypothermie, wo der Körper aber wieder alleine herauskommt. Wenn man nicht mehr zittert, ist klar, dass man in einer mittleren oder gar schweren Hypothermie ist. Die Pupillen sind ganz starr, die Muskelreflexe sind weg. Da hat man dann den Punkt überschritten - und braucht umgehend medizinische Hilfe.

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Haben Sie so eine Situation selber schon mal am eigenen Leib erleben müssen?
Zum Glück nicht. Ich liebe zwar meinen Extremsport sehr, aber ich möchte auch möglichst alt werden. Daher habe ich immer genau auf die Signale meines Körpers geachtet - mich langsam rangetastet. Meine ersten Wettkämpfe waren über 25 und 50 Meter, im Jahr danach 500, danach dann 1.000. Es ist der Schlüssel zu dieser Sportart, dass man sich nur langsam und auch kontinuierlich steigert.

Dann haben Sie sich an die Eismeile gewagt.
Das war eine wirklich extreme Herausforderung. Im Training kann ich jeden Tag 1.000 Meter schwimmen, aber die Meile sind noch mal gut 600 Meter mehr. Das ist eine Hausnummer. Das kann man vergleichen mit jemand, der die fünf oder zehn Kilometer laufen kann, sich dann aber an dem Marathon macht. 1.400, 1.500 Meter waren bis dahin meine längste Strecke. Im Rennen selber habe ich mir immer Rechenaufgaben gestellt, um zu wissen, ob mein Geist noch funktioniert. Und ich hatte mit meinem Trainer ab der Distanz von 1.000 Meter nach jeden weiteren 100 Metern spezielle Zeichen vereinbart, damit er weiß, dass bei mir alles in Ordnung ist.

Nur gut 400 Menschen sind bisher jemals die Eismeile geschwommen.
Ja, und im Vergleich dazu sind schon viele, viele Tausende auf den Mount Everest, den höchsten Berg der Welt, gestiegen.

Die 42-Jährige war mehrmals Weltmeisterin im Eisschwimmen, gerade hat sie ihr Buch "Eisschwimmen" veröffentlicht (Riva-Verlag, 208 Seiten, 22€). AZ-Interview mit Julia Wittig:
Die 42-Jährige war mehrmals Weltmeisterin im Eisschwimmen, gerade hat sie ihr Buch "Eisschwimmen" veröffentlicht (Riva-Verlag, 208 Seiten, 22€). AZ-Interview mit Julia Wittig: © Riva-Verlag

In diesen Momenten entscheidet wahrscheinlich mehr der Kopf als der Körper, ob man so eine Leistung bringt.
Absolut. Ich bin ein Fan von Selbstgesprächen, vom positiven Verstärken, das mache ich permanent, wenn ich im Wasser bin. Ich sage mir nie, "um Himmels Willen ist das kalt", sondern ich bin ständig im Dialog mit mir selber, motiviere mich. Ich sage mir etwa, "es ist kalt, aber du schaffst das, du hast es gestern auch geschafft". Als Leistungssportler kommt man fast in jedem Training an den Punkt, wo man glaubt: Ich kann nicht mehr. Aber es ist unglaublich, was der Körper dann noch zu leisten im Stande ist. Dank der Stärke des Kopfes!

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