Einmal Löwe, immer Leid

Kurz nach Saisonbeginn ist die Stimmung beim TSV 1860 schon wieder im Keller. Jahr für Jahr Enttäuschungen, das setzt den Fans zu. Hier reden prominente Sechzig-Anhänger über ihren Frust.
MÜNCHEN Das schafft vielleicht nur 1860: Nach gerade zwei Spieltagen haben die Aufbruchstimmung, die Zuversicht und die Hoffnung auf die Bundesliga-Rückkehr schon empfindlichen Schaden genommen. Die Löwen sind nach zwei Niederlagen Zweitliga-Letzter. Und statt Euphorie kriecht Depression heran.
Schon fühlt man sich erinnert an die schlimme letzte Rückrunde; von den letzten 19 Zweitliga-Spielen hat 1860 nur zwei gewonnen. Reiht sich auch diese Saison ein in die Serie von Enttäuschungen, die der Fan seit dem Abstieg erdulden musste? Einmal Löwe, immer Loser? Die Gefühlslage ist seltsam. Die AZ hat sich bei prominenten Löwen-Fans umgehört.
Theo Waigel (ehemaliger Finanzminister): „Ich hatte so einen schönen Urlaub, aber dann habe ich am Sonntag das Radio angemacht: Erst 0:1, dann 0:2, da fällt mir einfach nichts mehr ein. Ich habe das Radio dann ausgeschaltet. Das Ergebnis habe ich am Abend im Videotext gelesen. Es ist jedes Jahr dasselbe. Ehrlich gesagt, ich bin mit meinem Latein am Ende, wenn es um 1860 geht. Wahrscheinlich können’s die einfach nicht besser. Mich trifft’s gleich doppelt: Mein Heimatverein TSG Thannhausen hat am Wochenende in der Bayernliga 0:6 gegen Ismaning verloren.“
Hep Monatzeder (Bürgermeister, ehemaliger 1860-Aufsichtsrat):„Das ist doch nur noch grauenvoll, was 1860 Woche für Woche abliefert. Ich frage mich ernsthaft, wie das sein kann: Die reißen jedes Mal den Mund auf, was für eine tolle Saison das werden wird – und dann brechen sie auf dem Platz zusammen. Das tut einem Sechzger-Herz sehr weh. Wenn ich sehe, dass bei Marco Kurz ein Danny Schwarz immer noch Führungsspieler ist, dann habe ich schon meine Zweifel. Und der Mustafa Kucukovic, der springt im Kreis wie ein Hirsch. Das ist doch alles nur noch tote Hose.“
Bernhard Winkler (ehemaliger 1860-Profi und Aufstiegsheld): „Die Ziele waren wie vor jeder Saison hoch: Von ,oben mitspielen’ war die Rede. Jetzt sind wir Zweitliga-Letzter. Wir sind zwar erst am zweiten Spieltag, doch die Saison geht genauso weiter, wie die alte aufgehört hat. Man sieht bei 1860 einfach keine Fortschritte, und die ständigen Ausreden kann ich auch nicht mehr hören. Es muss sich schlagartig etwas ändern, sonst wird es auch für Marco Kurz eng: Wenn du so wenig Spiele gewinnst wie er, ist es ein normaler Prozess, dass du im Fokus der Kritik stehst. Ihm helfen jetzt nur noch Siege.“
Bernd Patzke (Meister-Löwe von 1966): „Die Bilanz ist nicht gut: Jetzt geht der Existenzkampf wieder von vorn los, für die Spieler und den Verein. Ich will gar nicht daran denken, sollten wir absteigen. Wenn ich die letzten zwei Jahre sehe, ist von Entwicklung nichts zu sehen. Für uns Fans ist das wirklich harter Tobak, dabei würden wir uns nichts Schöneres wünschen, als endlich wieder aufzusteigen.“
Dieter Hildebrandt (Kabarettist): „Ich höre und lese Jahr für Jahr, 1860 hätte eine gute Mannschaft – und was man dann auf dem Platz sieht, ist beschämend. Wenn’s nicht so traurig wäre, müsste man darüber lachen. Da sind elf Fußballer auf dem Platz, die Probleme haben, den Ball zu kontrollieren. Im Spiel ist keine Strategie zu erkennen, die wissen ja nicht mal, wo das Tor steht. Die 66er-Mannschaft, das waren Persönlichkeiten. Aber davon ist heute nichts mehr zu spüren, nicht mal im Ansatz. Vielleicht sollte der Verein mal eine Frau als Präsidentin einstellen, vielleicht geht dann was.“
Petar Radenkovic (Torwart der Meisterlöwen): „Ich Freude mich auf den 15. September, das ist der Tag, an dem sich die Meistermannschaft mit dem neuen Präsidenten in der Allianz Arena trifft. Wir nehmen diese Einladung zum Anlass, dass wir schonungslos über die Missstände bei 1860 sprechen werden. Das größte Problem ist die sportliche Planung und der Trainer. Wir haben lange geschwiegen, aber jetzt muss alles auf den Tisch. 1860 darf nicht zu einem x-beliebigen Zweitliga-Verein verkümmern. Lange genug wurde alles schön geredet, jetzt muss was passieren.“
Albrecht von Linde (Ex-Präsident): „Das war kein besonders prickelnder Start für die Löwen, aber vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an Hoffenheim nehmen. Die sind letztes Jahr auch mit zwei Niederlagen gestartet und am Ende aufgestiegen. Die Mannschaft wird sich schon wieder fangen. Es ist wie beim Golfen: Vieles spielt sich im Kopf ab.“
Werner Lorant (Ex-Löwen-Trainer): „Mich langweilt dieser Verein, jedes Wort darüber ist eigentlich zu viel. Seit Jahren dreht sich 1860 im Kreis. Im Sommer große Sprüche, aber schnell folgt die Ernüchterung. Wer in 19 Spielen 2008 nur zweimal gewinnt, dem gehen irgendwann die Argumente aus. Aber mein Kollege (Lorant meint Marco Kurz, d. Red.) ist ja nicht allein verantwortlich, Stefan Reuter hat mit ihm ja die Mannschaft zusammengestellt.“
Karsten Wettberg (1860-Aufsichtsrat): „Dass man mit dem Start nicht zufrieden sein kann, das weiß jeder. Es ist noch nichts kaputt, aber die Sorge ist natürlich da. Ich bleibe Optimist und sage: Gewinnen wir in Ahlen, dann sieht die Welt für 1860 schon wieder freundlicher aus.“
Oliver Griss, Reinhard Franke